© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Den Druck nutzen
Balkan: Unter den Eindrücken aus der Ukraine suchen Montenegro, Kosovo und Bosnien Schutz im Westen
Hans-Jürgen Georgi

Es wären keine „guten“ Politiker, wenn nicht auch sie die Krise um die Ukraine nutzen würden. So ist der Unruheherd Balkan mit Beginn des Krieges noch unruhiger geworden.

Insbesondere nach dem Einfall Rußlands befürchteten viele, daß sich auf dem Westbalkan Teile der slawischen Bevölkerung auf die Seite des großen Bruders Rußlands schlagen könnten. So zeigte sich der nordmazedonische Präsident Stevo Pendarovski besorgt, daß viele seiner Landsleute mit Moskau sympathisieren und 40 Prozent der Nordmazedonier in der von Rußland dominierten Eurasischen Union eine Alternative zur Europäischen Union sähen.

Das benachbarte Kosovo befürchtet gar eine „zweite Front“ auf dem Balkan. Als die Vorsitzende der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, der Ukraine das großzügige Angebot machte, EU-Mitglied zu werden, erfaßte auch die Präsidentin des Kosovo die Gelegenheit und forderte eine beschleunigte Aufnahme in EU und Nato. Voraussetzung dafür ist aber, daß das Kosovo überhaupt als Staat anerkannt wird. Für vier EU- und Nato-Mitglieder – und die Uno – steht das noch aus. Das benachbarte Serbien blickt mit Befürchtungen auf das Kosovo. Laut serbischer Verfassung gehört Kosovo zum Land. Dort lebt eine große Anzahl Serben. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić lehnte wegen der tiefen Bindung an Rußland und trotz hohen politischen Drucks ab, sich den Sanktionen der EU und der USA anzuschließen. Brüssels Reaktion darauf steht noch aus. Die Stimmen, die fordern, daß die schon fortgeschrittenen EU-Aufnahmegespräche abgebrochen werden sollen, bis Serbien „auf Linie“ ist, werden derweil lauter. Doch das würde völliges Einknicken vor EU-Forderungen bedeuten. Serbiens ebenso gute Beziehungen zu China müßten genauso fallengelassen werden.

Im benachbarten Montenegro wird der Ukraine-Krieg dazu genutzt, das Land stärker im Einflußbereich des Westens zu verankern. Bis Anfang Februar war hier indirekt eine prorussische und proserbische Partei an der Regierung beteiligt. Sie hatte 2020 die Wahl gegen die proeuropäische Partei des Langzeitpräsidenten Milo Ðukanović gewonnen. Sie wird nun aber wieder aus dieser Regierungsverantwortung gedrängt. Trotz massiver Proteste und dem Hinweis, daß der Wählerwille mißachtet würde, kommt die Partei Ðukanovićs zurück an die Macht. Bei seiner Abwahl hatte es in den deutschen Medien geheißen, er pflege einen „autokratischen Regierungstil“ und im Land herrsche „Kooruption und eine Atmosphäre der Angst“. Doch die Ukraine-Krise hat ihn und seine Proeuropäer wieder salonfähig gemacht.

Auch in Bosnien-Herzegowina scheinen alle Dämme zu brechen, wenn die Außenministerin die EU per Twitter bittet, ihrem Land „sofort“ den Status eines Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft zu erteilen. Dabei steht BiH mit seinen vielen ungelösten Problemen ganz hinten auf der EU-Warteliste. Doch handstreichartig sollen die komplizierten Strukturen des Landes und die ethnischen Absicherungen, die durch die Verfassung des Dayton-Friedensvertrages garantiert sind, geschleift werden. Das hoffen neben den muslimischen Bosniaken auch die EU und die USA, denn damit könnten die Autonomiebestrebungen der rußlandfreundlichen Serben und ihres Anführers Milorad Dodik erstickt werden. Sollte dies gelingen und auch Serbien auf „EU-Linie“ gebracht werden, hat Putin mit dem Krieg in der Ukraine seinen Freunden auf dem Westbalkan einen Bärendienst erwiesen.