© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Grüße aus … London
Schwarzweiß-denken
Derek Turner

Anthony Burgess erzählt in seinem 1993 erschienenen Roman „Ein toter Mann in Deptford“ das Leben des blasphemischen, brillanten, homosexuellen und möglicherweise spionierenden Dramatikers Christopher Marlowe und dessen Ermordung im Jahr 1593 in einem Pub in Deptford. Doch Marlowe ist nicht der einzige tote (weiße) Mann, der mit dem Londoner Vorort in Verbindung gebracht wird.

Das Rathaus von Deptford, das zwischen 1903 und 1905 erbaut wurde, ist ein extravagantes neobarockes Gebäude, das mit Statuen und anderen Ikonen aus der erstaunlichen maritimen Geschichte des Stadtteils geschmückt ist. Admiral Nelson, Sir Francis Drake und der parlamentarische General zur See Robert Blake blicken von der Halle über belebte Straßen auf das Gelände der alten Royal Naval Dockyard, die 1514 gegründet wurde. Die schwadronierenden Steingesellen erinnerten die Bewohner dieses lange Zeit benachteiligten Bezirks daran, daß sie Teil eines historischen Kontinuums sind, Teil der Geschichte einer Inselnation.

1977 kam es bei der „Schlacht von Lewisham“ zu einem Dreikampf zwischen Polizei sowie Linken und Rechten.

Doch im Jahr 2019 wurde das Gebäude, das 1998 an das Goldsmiths College übertragen wurde, 137 Tage lang von Studenten der „Goldsmiths Anti-Racist Action“ besetzt, die unter anderem die Entfernung der Statuen forderten. Drake war ein echter Sklavenhändler, Blake (Spitzname: „Vater der königlichen Marine“) hatte den Handel erleichtert, und Nelson hatte eine „Affinität“ zu Sklavenhaltern entwickelt. Diese naiven Forderungen wurden während der „Black Lives Matter“-Proteste 2020 in einer Gegend, die für rassistische Spannungen berüchtigt ist, verstärkt. Im Jahr 1977 war es bei der sogenannten „Schlacht von Lewisham“ zu einem Dreikampf zwischen Polizei und militanten Linken und Rechten gekommen. 1981 starben 13 schwarze Teenager bei einem Brand, für den lange Zeit fälschlicherweise Weiße verantwortlich gemacht wurden. Im Jahr 1993 wurde der schwarze Teenager Stephen Lawrence von weißen Jugendlichen ermordet.

Das College tat, was Institutionen in solchen Fällen tun: Es schmeichelte den Demonstranten und leitete eine „öffentliche Konsultation“ ein. Die Anwohner und die Öffentlichkeit wurden aufgefordert, bis zum 17. Oktober 2021 schriftlich zum Verbleib der Statuen Stellung zu nehmen. Für Änderungen an der Fassade wäre immer eine gesetzliche Genehmigung erforderlich gewesen, und im Januar 2021 wurden neue Rechtsvorschriften eingeführt, die solche Änderungen erschweren. Seitdem ist es still geworden, und der „Consultation Hub“ der Hochschule ist eine leere Webseite. Vielleicht hofft Goldsmiths, daß das Problem verschwindet, wenn es nur lange genug ignoriert wird. Als ehemaliger Deptford-Bewohner hoffe ich, daß sie nicht enttäuscht werden.