© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Widersprüche im „umfassenden Entlastungspaket“ der Ampelkoalition
Unsoziale Energiepolitik
Dirk Meyer

Der Ukraine-Krieg hat den Benzin- und Dieselpreis über zwei Euro klettern lassen. Doch ein steigender Verbrauch nach Corona, ein geringeres Angebot und die Energiewende haben die Kaufkraft schon vorher angegriffen: Der Verbraucherpreisindex lag im Februar bei 5,1 Prozent – bei Haushaltsenergie und Kraftstoffen betrug die Inflationsrate sogar 22,5 Prozent. Hier haben das 2021 in Kraft getretene nationale Emissionshandelssystem mit Festpreisen für die CO2-Zertifikate und die EEG-Umlage für Ökostrom-Produzenten eine erhebliche Verteuerung bewirkt. Hinzu kommen die aktuellen, teils spekulativ bedingten Knappheitspreise. Während der CO2-Preis den Verbrauch knapper Umweltressourcen lenken soll, ist die EEG-Umlage eine Subvention für eine politisch gewollte regenerative Stromerzeugung, die unter marktlichen Verhältnissen keinen Bestand hätte – also eine staatliche Technologiesteuerung.

In beiden Fällen zahlt der Verbraucher eine „Umweltsteuer“. Die Ampelkoalition hat nun aber ein „umfassendes Entlastungspaket“ (Lars Klingbeil) beschlossen: Die EEG-Umlage (etwa elf Prozent des Strompreises) soll zum 1. Juli wegfallen. Die Pendlerpauschale wird rückwirkend zum 1. Januar ab dem 21. Kilometer von 35 auf 38 Cent angehoben. Das bringt Privathaushalten 6,6 Milliarden Euro und Fernpendlern etwa 300 Millionen Euro jährlich. Doch beide Maßnahmen konterkarieren die angestrebte Energieeinsparung: Stromverbrauchseinsparung wird weniger belohnt und es gibt weniger Anreize für wohnortnahes Arbeiten. Zudem ist das nichts anderes als „linke Tasche, rechte Tasche“, denn die Erleichterungen führen zu einer Zusatzbelastung des Staatshaushaltes – oder möglicherweise zu Ausgabenkürzung anderswo.

Ein weiteres Beispiel für einen Markteingriff mit fragwürdigen umwelt- und sozialpolitischen Folgen ist die „Innovationsprämie“ für E-Autos von bis zu 9.000 Euro. Dabei dürfte klar sein, wer sich einen VW ID.4 (ab 38.915 Euro) oder Tesla 3 (ab 46.560 Euro) vornehmlich leistet. Abgesehen von dem Streit, ob denn E-Autos über den gesamten Lebenszyklus derzeit tatsächlich klimaschonender sind, gerät der Bonus zur Subvention für die „Besserverdienenden“. Die bis Ende 2022 geltende Mindesthaltedauer von nur sechs Monaten hat bei einigen Autohändlern zu einer pfiffigen Vertragskonstruktion geführt: „Tesla Model 3 kostenlos fahren für sechs Monate – Verbindlicher Ankauf nach sechs Monaten!“ Danach geht der Wagen nach Dänemark, wo er bis zu 14.000 Euro mehr kostet als in Deutschland. Das grüne Wirtschaftsministerium war lernfähig und hat ab 2023 die Haltedauer auf ein Jahr verlängert.

Nicht der in die Knappheitspreise eingreifende „Gutmensch-Politiker“, sondern der um sozialen Ausgleich bemühte „Markt-Politiker“ ist gefragt. Konkret hieße dies, die zumeist nur kurzfristig hohen Energiepreise zuzulassen, die knappheitsmindernden Anpassungsreaktionen durch Einsparungen, Angebotserhöhungen und Technologieoffenheit abzuwarten und bis dahin einen allgemeinen sozialen Ausgleich in Form von Sozialtransfers an einkommensschwache Haushalte zu gewähren. Hier sind die Sofortzuschläge für Bezieher von Hartz IV, Grundsicherung oder Sozialhilfe von einmalig 100 Euro und der Kinderbonus von 20 Euro pro Monat allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.