© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Alles soll auf den Prüfstand
Ukraine-Krieg: Lebensmittel werden in Deutschland zwar nicht knapp, manches aber teuer
Paul Leonhard

Die Deutschen hamstern wieder. Aktuell alles, was nicht schnell verdirbt. Und sie bekommen mächtige Konkurrenz: „Die EU und der Bund müssen jetzt die Lebensmittellager bis unter die Decke füllen“, fordert Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Bei wichtigen Gütern wie der Nahrung müsse der Staat eingreifen und sich gezielt um die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln kümmern. „Wir werden nicht verhungern, aber es kann ganz schnell dramatische Auswirkungen auf den Getreidepreis geben, mahnt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).

Das Bundesamt für Katastrophenschutz (BBK) empfiehlt nicht erst seit Corona, immer einen gewissen Vorrat zu Hause zu haben. Denn seit die „Energiewende“ Fahrt aufgenommen hat, ist selbst in Friedenszeiten ein großer Stromausfall nicht mehr auszuschließen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium rechnet zudem mit einer weiteren Verteuerung von Lebensmitteln. Ernsthafte Versorgungsengpässe bei Agrarprodukten sind innerhalb der EU zwar nicht zu erwarten, aber global gesehen zeichnen sich schon jetzt Lieferprobleme ab.

Sorgenvoll schauen vor allem die Staatschefs der Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens auf die Entwicklungen in der Ukraine: Werden die dortigen Bauern trotz des Kriegs ihre Felder bestellen? Bleibt die Infrastruktur intakt? Werden die Häfen wieder öffnen? Wohin wird Rußland seine Agrarprodukte künftig verkaufen? Allein in das danach gierende China? Die Araber waren einer der Hauptabnehmer für ukrainischen Weizen. Brot als Grundnahrungsmittel wird häufig subventioniert, um Volksaufständen vorzubeugen. Der europäische Weizenpreis ist seit Jahresbeginn von 270 auf rund 435 Euro pro Tonne gestiegen. „Die Nachfrage nach Weizen zur baldigen Lieferung ist beispiellos“, heißt es von der Beratungsfirma Agritel.

Die weltweiten Lagerbestände sind niedrig und reichen – die russischen und ukrainischen herausgerechnet – nicht einmal für drei Wochen. Deutschland mit seinem hohen Selbstversorgungsgrad importiert zwar kaum Getreide aus dem Osten, aber steigende Preise werden auch hierzulande Folgen haben: Die Ackerbauern werden mehr Einnahmen erzielen, aber auch mehr für Dünger bezahlen müssen. Tierhalter müssen jeden Cent umdrehen, wenn sie Futter zukaufen. Soja, das als Futter in der Mast benötigt wurde, kam bisher auch aus Rußland. Wenn aber Viehbauern nun aufgeben, sinkt auch das Aufkommen von natürlichem Dünger, was wiederum zu einem Nährstoffdefizit führen könnte. Weniger Gülle – davon hatten Umweltschützer eigentlich immer geträumt.

Die globale Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg machen deutlich, daß in Krisen der Welthandel nicht funktioniert – mit gravierenden Auswirkungen nicht nur auf die „Just in Time“-Industrie. Nicht nur die Versorgung mit Halbleitern oder Rohstoffen stockt, sondern auch die Lieferung von Energie, Getreide und Kunstdünger. Aus der Ukraine – nach Rußland, den USA, Kanada und Frankreich der fünftgrößte Weizenexporteur – kann derzeit nichts geliefert werden, weil die Häfen geschlossen sind: 500.000 Tonnen Weizen und 1,7 Millionen Tonnen Mais warten derzeit nach Angaben der Firma Ukr-Agro-Consult auf den Weitertransport.

Kommt endlich wieder politische Unterstützung für deutsche Bauern?

Betroffen von der Weizenknappheit sind vor allem Ägypten, der Libanon und afrikanische Länder, die traditionell Getreide aus Rußland und der Ukraine beziehen. Auch die Türkei und Indonesien sind keine Weizen-Selbstversorger. Daß die Ukraine der weltweit größte Produzent und Exporteur von Sonnenblumenöl ist, daran werden auch die deutschen Verbraucher erinnert, wenn sie in die Supermarkt-Regale schauen. Es sind nicht nur Engpässe bei Speiseöl zu erwarten, sondern auch rapide Preissteigerungen. Der Rapsölpreis hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie fast verdoppelt. Auf die wachsende Nachfrage der Kunden haben die Discounter schon mit Rationierung reagiert: Maximal vier Flaschen wurden vorige Woche pro Kunde noch verkauft.

Sonnenblumenöl könnte bald knapp und teuer werden, heißt es seitens des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (Ovid). Präsidentin Jaana Kleinschmit von Lengefeld verweist auf die Einschränkungen für Produktion und Logistik von Ölsaaten in der Ukraine und insbesondere in der Schwarzmeerregion, was „spürbare Einflüsse“ auf die Verfügbarkeit und Preise von Ölsaaten und deren Produkte in Deutschland haben werde. Nur sechs Prozent des Bedarfs wurden bislang aus eigenem Anbau gedeckt. Daher fuhr alle zwei bis drei Wochen ein Schiff aus der Ukraine mit 20.000 bis 30.000 Tonnen Sonnenblumenöl im Hafen von Rotterdam ein.

„Die Lage auf dem Markt für pflanzliche Öle ist sehr angespannt“, bestätigt auch Sébastien Poncelet vom Marktforschungsunternehmen Agritel. Weil die Ernte schlecht ausgefallen ist, gebe es auch nur wenig Lagerbestände an Sojaöl aus Lateinamerika und an Palmöl aus Indonesien und Malaysia. Obwohl 2021 zwei große europäische Hersteller aus der Produktion von Speiseöl ausgestiegen sind, sei die Versorgung mit Rapsöl nicht gefährdet, beruhigt Ovid-Geschäftsführer Momme Matthiesen die deutschen Verbraucher in der Lebensmittel Zeitung. Diese müßten sich jedoch auf weitere Preiserhöhungen einstellen. Dosenfisch, Gemüse, Hülsenfrüchte, Fleisch oder Olivenöl könnten immerhin zwischen fünf und 15 Prozent teurer werden.

Die Ernährungssicherheit und die Situation der deutschen Landwirtschaft sind neben der Energie und der Verteidigungsbereitschaft derzeit die wichtigsten Themen, die die Politiker umtreiben. Die EU-Stillegeprämien für Agrarflächen werden wohl schnell der Vergangenheit angehören. Stattdessen wird wohl – wie zu Zeiten des Kalten Kriegs – der Anbau von Lebensmitteln wieder gefördert werden. Regionale Wirtschaftskreisläufe für natürlichen Dünger sind möglich – doch das ersetzt keinesfalls den Stickstoffdünger in der Intensivlandwirtschaft. Bislang kam dieser vor allem aus den neuen Pariastaaten Weißrußland und Rußland, wo die energie­intensive Düngerproduktion wegen der niedrigen Erdgaspreise billig war.

Mit der Forderung, daß die EU bezüglich der Lebensmittelversorgung wieder autark werden solle, dürfte sich auch die ab 2023 geltende Pflicht zur Stillegung von vier Prozent der Agrarfläche erledigt haben. „Wir müssen in der EU alles noch mal auf den Prüfstand stellen“, verlangt Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU). Daß fordern die „Freien Bauern“, die kämpferische Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland, schon lange: „Angesichts der drohenden Lebensmittelknappheit brauchen wir eine ökologische Intensivierung unserer heimischen Landwirtschaft, die nicht auf Export, sondern auf Selbstversorgung ausgerichtet ist“, so Bundessprecher Alfons Wolff. Die Politik müsse die deutschen Bauern gegen Billigimporte und die Macht der Monopole unterstützen: „Es muß sich wieder lohnen, Lebensmittel für den heimischen Markt zu produzieren“, so der Ackerbauer aus Landsberg bei Halle. Die Ernährungssouveränität wird auch Thema sein, wenn Ende März die deutsche Agrarministerkonferenz tagt.

BBK-Ratgeber für Notfallvorsorge:

 www.bbk.bund.de

 markt.agrarheute.com

 www.ovid-verband.de

Foto: Pflanzenöl im Supermarkt ausverkauft: Drohen Hamsterkäufe wie zu Beginn der Corona-Pandemie?