© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Die Wahrheit der Wattestäbchen
Kino: Pedro Almodóvars neuer Film „Parallele Mütter“ ist ein trauriges Beispiel für den Verrat von Kunst an Ideologie
Dietmar Mehrens

Nach etwa einer Stunde kommt der Moment, der alles ruiniert. Der aufmerksame Zuschauer hat das Elend kommen sehen: Ein paar Filmminuten zuvor begegneten sich die beiden Frauen, die gemeinsam Mütter geworden waren, in einem Straßenrestaurant wieder. Doch Ana, die jüngere der beiden, ist seltsam verändert, ist mutiert zu einer jungenhaften, verstört wirkenden Gestalt mit wasserstoffblonden kurzen Haaren, die ihr überhaupt nicht stehen und aus ihr ein merkwürdiges androgynes Zwischenwesen machen. Wenig später ist es dann auch schon soweit: Zwischen den beiden Frauen kommt es zu Zärtlichkeiten, und sie landen zusammen in der Kiste. Es ist der Moment, in dem der begnadete Filmemacher Pedro Almodóvar, der spanische Woody Allen und wie dieser ein Meister im Inszenieren weiblicher Neurosen und männlicher Identitätsstörungen, sein Werk an die Agenda der LGBT-Aktivisten (die auch seine Agenda ist) verrät, obwohl er als Künstler wissen müßte, daß es für ihn keinen größeren Sündenfall gibt, als die Kunst in den Dienst einer Ideologie zu stellen. 

Dabei war Almodóvar bis dahin wieder eine bemerkenswerte filmische Erzählung über schicksalhafte Begegnungen, Verantwortung und Verzweiflung gelungen, deren Einzelszenen und Dialoge so kunstvoll angelegt waren, daß das Zusehen eine wahre Freude war. 

Zum Schluß entgeht der Regisseur der Kitsch-Falle

Ungewollt schwanger! Das klingt immer ein bißchen so, als würde die sexuelle Aufklärung noch in den Kinderschuhen stecken und auch heute noch keiner wissen, was beim Beischlaf passiert. Bei Ana (Milena Smit) und der nach Janis Joplin benannten Janis (Penélope Cruz) ist also nach der Begegnung mit einem verführerischen Mann parallel eingetreten, was die Natur so eingerichtet hat. In einer Madrider Entbindungsklinik lernen die beiden hochschwangeren Frauen sich kennen und schließen Freundschaft. Fast zeitgleich kommen schließlich Anas Tochter Anita und Janis’ Tochter Cecilia zur Welt.

Während von dem Vater der Tochter, die Ana geboren hat, nur ein Foto existiert, ist bei Janis ein großer Traum geplatzt. Die begabte Modefotografin hatte sich nach der stürmischen Begegnung mit dem attraktiven Arturo (Israel Elejalde), der sich für Nachforschungen zu einem Massengrab in Janis’ Heimatdorf einsetzt, mehr versprochen. Doch Arturo ist zur Gründung einer Familie mit Janis nicht bereit und schockiert seine Geliebte mit seiner instinktiven Ablehnung der gemeinsamen Tochter: Da stimme was nicht, ist der forensische Historiker sich sicher. Das Kind sei nicht sein Fleisch und Blut. Er schlägt einen Vaterschaftstest vor. Janis, zunächst verstimmt, ist sich wegen Cecilias dunklem Teint plötzlich auch nicht mehr sicher. In einem Genlabor läßt sie einen Satz Wattestäbchen auswerten. Das Ergebnis ist ernüchternd: Cecilia kann nicht ihre Tochter sein.

Um den Verdacht zu erhärten, der sie beschlichen hat, kommt bald ein zweites Wattestäbchen zum Einsatz, mit dem Janis, nachdem die beiden Frauen sich wiederbegegnet sind, Anas DNA einfängt, ohne ihr freilich zu verraten, was das soll. Das Gen-Labor bestätigt ihr, daß Cecilia in Wahrheit Anas Tochter ist. Als wäre der Konflikt, in den Janis das stürzt, nicht schon gravierend genug, kommt nun auch noch heraus, daß Anita, Janis’ wahre Tochter, durch plötzlichen Kindstod ums Leben gekommen ist.

Nachdem zum törichten Konfessionskunstwerk degeneriert ist, was so vielversprechend begonnen hat, ist der Zuschauer auf das Schlimmste gefaßt. Aber glücklicherweise erspart es

Almodóvar ihm und sich selbst, in die grauenhafte Kitsch-Falle zu tappen, deren Konturen sich nun in Form eines gewaltigen Regenbogens am Horizont seiner Geschichte abzeichnen: eine Lesben-Ménage-à-trois, in der die beiden Hauptfiguren, der alten Almodóvar-Überzeugung huldigend, daß Frauen sowieso die besseren Männer sind, die kleine Vielfalts-Cecilia gemeinsam großziehen und damit das Projekt aller Geschlechtsrevisionisten, die Auflösung der traditionellen Familie in der Kolchose der Kulturmarxisten, zu exemplarischer Vollendung kommt. Mit dem Schriftzug „We should all be feminists!“ auf dem T-Shirt, in dem Penélope Cruz minutenlang vor der Kamera herumhampeln durfte, war der Weg in diese Kitsch-Falle bereits alarmierend deutlich gewiesen. 

Der bekennende Homoerotiker ist freilich klug genug, um seinen Film zum Ende hin noch einen Haken schlagen zu lassen, indem das Exhumierungsprojekt, das Janis und Arturo am Anfang der Geschichte zusammengebracht hatte, wieder in den Fokus rückt und in diesem Zusammenhang – nunmehr unschwer als Pandemie-Parodie zu enttarnen – Wattestäbchen Nummer drei seinen Auftritt hat. Die Ausgrabung von Opfern der „franquistas“ (Franco-Anhängern) aus der Familie von Janis beschert dem Film dann doch wieder einen der berührenden Momente, die großes Kino benötigt. 

Kinostart ist am 10. März 2022