© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Mit Biermanns Agitprop gegen „Demokratieverächter“
Steinmeiers Hofpoet
(ob)

Als Wolf Biermann im vergangenen November seinen 85. Geburtstag feierte, sei „so ziemlich die komplette Staatsspitze, mit einem amtierenden (Frank-Walter Steinmeier) und einem ehemaligen (Joachim Gauck) Bundespräsidenten, mit amtierender Bundeskanzlerin und einem Bundeskanzler in spe“ versammelt gewesen. Mehr hätten, so freut sich Oliver Schmolke, Abteilungsleiter Inland in Steinmeiers Präsidialamt und Verfasser eines „Linksliberalen Manifests“, auch bei einem runden Geburtstag Heinrich Heines oder Bertolt Brechts nicht da sein können (Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, 1-2/2022). Worin die politische Klasse aktuell den ideologischen Gebrauchswert der Agitprop-Produktion des greisen Bänkelsängers erblickt, verrät Schmolke auch gleich: sie bewähre sich bestens in „Pegida-, Coronaleugner- und Demokratieverächterzeiten“. Tapfer richte sich sein „zärtlicher Zorn“ gegen die „Kinder der SED-Parteidiktatur“, die zwischen Rügen und Erzgebirge heute „die Freiheit als Diktatur verhöhnen“. Im fachkundigeren Urteil Helmut Böttigers, der gerade eine deutsch-deutsche Literaturgeschichte der 1970er vorgelegt hat (siehe Seite 14), erscheint der als Steinmeiers Hofpoet sein Gnadenbrot verzehrende Barde indes in weniger rosigem Licht. Sei Biermann doch nach seiner Ausbürgerung 1976 lange vor der „Wende“ zum Alleinunterhalter herabgesunken, dessen künstlerisch fragwürdige Texte kaum noch Politisches aussagten. Darum habe er kurz nach dem Mauerfall nicht den geplanten  „Triumphzug“ einer Konzerttour durch die Noch-DDR erlebt, sondern die bittere Erfahrung machen müssen, daß die Zeit über ihn hinweggegangen war. 


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