© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Dorn im Auge
Christian Dorn

Im Burlesque-Studio um die Ecke, so weisen es die Zertifikate aus, sind die Covid-19-Schnelltests eine echte Performance, werden sie doch „performed by“ Mona, Katharina oder Sara. Zugleich läuft über den ausgewählten Musikkanal eine Songauswahl aus den 1980ern, die mich sogleich dazu inspiriert, hier mitzuspielen, indem ich – den Vornamen entsprechend – einige Takte aus den Achtzigern adaptierend anstimme, sobald ich den Laden betrete: „Mony, Mony“ (Billy Idol), „Sara, Sara, no time is a good time for goodbyes“ (Jefferson Starship) oder „Katharina, Katharina, komm her zu mir, perform die Luxus-Test-Maschine, und ich bleib auch nicht hier“. Der letztgenannte Song von 1983 stammt von der Band Steinwolke, deren Namen ich beim Verfassen dieser Zeilen zum ersten Mal begegne. Doch das Jahr 1984 von George Orwell folgt sogleich. Präsident Putin sorgt hier für den richtigen „Input“, als folgte er der Losung des „Großen Bruders“: „Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke.“ Wer dem öffentlich widerspricht, gewärtigt jetzt in Rußland bis zu 15 Jahre Gefängnis. Also besser: „Your crane of Dada / Pax Americana.“

Sowjetunion und „1984“ von George Orwell oder Der „Große Bruder“ ist jetzt Kriegsverbrecher.

In Halberstadt, wenige Stunden nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine durch „den großen Bruder“, wie die Sowjetunion in der DDR halbironisch genannt wurde, denke ich die in der DDR omnipräsente Losung logisch zu Ende: „Von Kriegsverbrechern lernen heißt siegen lernen.“ Nicht zufällig, hatte ich doch bereits seit Wochen an die seinerzeitige „Appeasement-Politik“ gegenüber Hitler vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs denken müssen. Von der elterlichen Wohnung, nur wenige hundert Meter entfernt, liegt zu Füßen der Spiegelsberge noch immer das jetzt schon Jahrzehnte alte, verwaiste Mahnmal der Roten Armee – wie der historische Markstein eines Besitzanspruchs; einer Vergangenheit, die einfach nicht vergehen will. Während sich neben dem Couchtisch ein seltsames Flugobjekt bewegt – halb Fliege, halb Motte –, dessen abrupte Höhenwechsel eher an einen Apache-Hubschrauber erinnern, vernehme ich im Deutschlandfunk die Mahnung von Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Linke-Bundestagsfraktion: Frieden könne es nur „mit“ Rußland geben – in der Tat, so mein sarkastischer Gedanke, schließlich mahnte schon damals eine wimmernde Gestalt namens Willy Wimmer als (un-)heimlicher Stargast auf dem Hambacher Fest 2.0 eines Max Otte, doch endlich den ausgestreckten Arm Rußlands zu ergreifen, der wirklich nur Frieden wolle. Wie kann man es Putin da verdenken, daß er schließlich selbst die Initiative ergreifen und „Friedenstruppen“ schicken mußte, um dem schrecklichen „Genozid“ ein Ende zu bereiten und das „Nazi-Regime“ in Kiew zu beseitigen? Seit Wochen kommt mir immer wieder der mahnende Satz ins Ohr, mit dem mir die Lehrer in der DDR-Diktatur ins Gewissen reden wollten – nun denn: „Ja glaubst du denn, der Russe, der will Krieg?“ / „Nun ja, auf jeden Fall will er den Sieg.“ Leider noch nicht von Sanktionen betroffen ist derweil das frankophile Café des Putin-Propagandisten S. („Café Nowitschok“), dem ich in Gedanken einen neuen Namen gebe: „Chez Putin“.