© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Propaganda und Gegen-propaganda
Rußland und Deutschland schließen staatliche Nachrichtenkanäle des jeweils anderen Landes
Martina Meckelein

Was Propaganda ist, definiert zuallererst der Gegner. Deutschland und Rußland sind sich wenigstens in diesem Punkt einig: Sie haben die jeweiligen staatsfinanzierten Rundfunk- und Fernsehsender des anderen als Fake-News-Schleudern identifiziert, die den Staat, über den sie berichten, destabilisieren wollen. In den letzten Tagen zogen Deutschland und die Europäische Union die Reißleine und belegten russische Sender mit einem umfassenden Verbot. Rußland erließ ein Pressegesetz, das drakonische Strafen vorsieht. Was ist los auf dem Schlachtfeld der Deutungshoheit?

„Wir alle stehen für Redefreiheit, aber sie darf nicht zur Verbreitung von Kriegspropaganda mißbraucht werden“, kommentierte EU-Kommissionsvize Věra Jourová am 1. März die Vorgehensweise und schob hinterher: „Der Kreml hat Informationen zur Kriegswaffe gemacht.“ Betroffen sind der Sender Russia Today (RT), unter anderem in England, Deutschland, Frankreich und Spanien, sowie der Radiosender Sputnik. Die EU kann natürlich nichts gegen die Existenz dieser Sender tun, sie kann aber Kabel- und Satellitenbetreiber dazu bringen, die Internetseiten zu blockieren und so den Zugang zu verhindern. Grundlage dieses Verbots sind formal Wirtschaftssanktionen. „Einen vergleichbaren Fall hat es in der Europäischen Union bisher nicht gegeben“, urteilt Die Welt.

Betraf das Verbot zuerst nur das TV-Programm, weitete es sich sukzessive auch auf den Internet-auftritt und den Telegram-Kanal von RT aus. Telegram wiederum wurde von Pavel Durov gegründet. Der Milliardär soll in Dubai leben, dort ist auch Telegrams Sitz. Noch im Juni vergangenen Jahres bezeichnete der Spiegel die Nachrichtenapp als „wohl gefährlichsten Messengerdienst der Welt“. Und sechs Monate später, im Januar dieses Jahres, soll Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) laut darüber nachgedacht haben, Apple und Google aufzufordern, die Telegram-App „wegen nicht gelöschter Gewaltaufrufe und Hetze aus ihrem Angebot zu verbannen“. 

Telegram habe sich zu einem „Brandbeschleuniger“ für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten entwickelt, zitierte der Spiegel den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD). Zur Zeit scheint Telegram an Wohlwollen zu gewinnen: sein Gründer hat sich auf die Seite der Ukraine geschlagen.

Deutschland selbst will, parallel zum EU-Verbot, ein Sendeverbot gegen RT Deutschland erwirken. Die deutsche Geschichte des russischen Senders, der 2005 Moskau in gegründet wurde, beginnt am 6. Dezember 2014. An diesem Tag startet das deutschsprachige Programm im Netz. Der Sitz von RT Deutschland ist Berlin-Adlershof, gemeinsam mit der Nachrichtenagentur Ruptly und dem Radiosender Sputnik. Von Anbeginn hagelt es Kritik deutscher Medien. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erwähnt RT gar in seinem Bericht 2018.

Deutschland verhängt 25.000 Euro Strafe gegen Russia Today 

Sechs Jahre und zehn Tage nach dem Senderstart in Deutschland, am 16. Dezember 2021, legt RT sein Vollprogramm hierzulande via Satellit und Internet auf. Dabei hat Russia Today gar keine zwingend vorgeschriebene Sendelizenz in der Bundesrepublik, sondern die Betreibergesellschaft RT DE Productions beruft sich auf eine Lizenz aus Serbien, die der deutschen Medienaufsicht natürlich nicht ausreicht. Dabei wurde RT eine deutsche Linzenz wohl nie verwehrt – aus dem einfachen Grund, daß nie eine beantragt worden sein soll.

Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) leitet daraufhin ein Verfahren ein, und die Kommission für Zulassung und Aufsicht belegten den russischen Sender am 1. Februar mit einem Verbreitungsverbot, eben wegen der fehlenden deutschen Sendelizenz und unter Androhung eines Zwangsgeldes von 25.000 Euro. Unverdrossen lief das Programm dort weiter, wo es nicht anderweitig blockiert ist. Der Sender wiederum reichte beim Verwaltungsgericht Berlin einen Eilantrag gegen das Sendeverbot ein. Der MABB platzte der Kragen: Am Samstag setzte sie das Zwangsgeld fest. Und sollte der Sender nicht bis zum 16. März seine Arbeit eingestellt haben, drohe eine Erhöhung des Zwangsgeldes auf 40.000 Euro. 

Auf der anderen Seite der medialen Front sieht es wenig besser aus. Unter dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wurde am 4. März, ein Gesetz gegen die Verbreitung von Falschnachrichten über den Krieg in der Ukraine verabschiedet. Was Falschnachrichten sind, entscheidet der russische Staat. Journalisten, insbesondere ausländischen, drohen drakonische Strafen – bis zu 15 Jahre Haft können die Folge einer Verurteilung sein.

Russische Internetportale sollen noch am Abend ihre Arbeit eingestellt haben. Die Internetgiganten Facebook und Twitter sollen durch die russische Medienaufsicht komplett oder teilweise blockiert worden sein. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat ihre Korrespondenten abgezogen. Sie berichtete seit 1956 mit eigenen Mitarbeitern aus Moskau. Die ARD und das ZDF stellten ebenfalls ihre Berichterstattung ein. Aber auch die chinesische Social-Media-Plattform Tiktok schränkt schon freiwillig sein Angebot ein. Die zentrale Videofunktion sei für russische Konteninhaber gesperrt. Der Messengerdienst funktioniere allerdings noch. Tiktok soll 24,7 Millionen russischer Nutzerkonten führen.

Doch der aktuelle Medienkrieg gegen Deutschland begann in Rußland schon früher. Es traf zuerst die Deutsche Welle. Der 1953 gegründete Auslandsrundfunk ist zwar Teil der ARD, finanziert sich allerdings ausschließlich über Steuergelder. Anfang Februar 2022 verhängte das russische Außenministerium ein Sendeverbot gegen die Deutsche Welle, den Journalisten wurde die Akkreditierung entzogen – was einem Berufsverbvot gleichkommt.

Dieser Schritt kam natürlich nicht überraschend. Rußland argumentierte damit, daß dieses Vorgehen nur eine Reaktion auf das Verbot von RT sei. Und ebenfalls nicht überraschend ist die prompte Reaktion der ARD-Vorsitzenden Patricia Schlesinger, des ZDF-Intendanten Thomas Bellut und des Deutschlandradio-Intendanten Stefan Raue. Die verurteilten am 3. Februar einhellig die Schließung der Büros der Deutschen Welle in Rußland. „Hier wird freie, unabhängige Berichterstattung radikal eingeschränkt, um politischen Druck auszuüben. Daß damit zugleich die Pressefreiheit zum Faustpfand gemacht wird, erfüllt uns mit großer Sorge.“

Foto: Gegenseitige Berichterstattung: Der Kampf um die Deutungshoheit läuft auf Hochtouren