© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Streit um die höchste Autorität
Vor 150 Jahren eskalierte der „Kulturkampf“ zwischen Bismarck und der katholischen Kirche
Jan von Flocken

In seiner Bildergeschichte „Herr und Frau Knopp“ macht sich Wilhelm Busch 1876 lustig über die neuen Heiratsgesetze in Deutschland. Die beiden Eheleute vermählen sich vor dem Standesamt, bevor sie in der Kirche ihr Eheversprechen geben.

„Erst nur flüchtig und zivil,

dann mit Andacht und Gefühl.

wie es denen, welche lieben

vom Gesetze vorgeschrieben.“

Was der Altmeister des Humors hier auf die Schippe nimmt, besaß einen hochpolitischen Hintergrund: das Gesetz über die Zivilehe vom 9. Februar 1875. Und das wiederum stand ganz im Zeichen des vor 150 Jahren beginnenden „Kulturkampfes“.

Nachdem 1870 vom Ersten Vatikanischen Konzil das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre verkündet wurde und sich im selben Jahr die katholische Zentrumspartei gründete, wollte Reichskanzler Otto von Bismarck das Verhältnis zwischen Klerus und Staat neu regeln und den jungen deutschen Nationalstaat jeglichem „ultramontanistischen“, also vom Vatikan „jenseits der Berge“ ausgehenden geistlichen Einfluß entziehen. Aber die Zentrumspartei verlangte, alle Rechte der Kirchen gegenüber dem Staat zu bewahren. Das stieß nicht nur auf den Widerstand der Liberalen, die in der katholischen Kirche einen Hort der Fortschrittsfeindlichkeit sahen. Bismarck betrachtete das Zentrum sogar als Gefahr für die staatliche Autorität und die noch wenig gefestigte innere Reichseinheit. 

Diplomatische Beziehungen zum Vatikan wurden 1872 abgebrochen

Als erste einschneidende Maßnahme erließ er am 11. März 1872 für Preußen das „Schulaufsichtsgesetz“. Damit wurden alle privaten und kirchlichen Lehranstalten unter staatliche Kontrolle gestellt. Das hing auch damit zusammen, daß in den preußischen Ostprovinzen unter katholischer Schulaufsicht häufig Polnisch als Unterrichtssprache benutzt wurde. Deutsch war nun für alle Lehrer und Schüler verbindlich. Nach diesem Schulgesetz, das „zur Modernisierung des gesellschaftlichen Lebens beitrug, kam die Zeit einer vornehmlich durch Repression gekennzeichneten Gesetzgebung“, schreibt der Bismarck-Biograph Ernst Engelberg. Im Juli 1872 wurde der Jesuitenorden verboten. „Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen sind vom Gebiet des Deutschen Reichs ausgeschlossen“, hieß es. Ein Jahr später folgten die berüchtigten vier Maigesetze: Sie regelten die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen, schrieben ein staatliches „Kulturexamen“ vor, verstärkten das Aufsichtsrecht des Staates über die Kirche, engten den Gebrauch der kirchlichen Disziplinargewalt ein und setzten bei der Anstellung von Priestern ein behördliches Einspruchsrecht fest.

Das bereits erwähnte Gesetz über die Zivilehe verbot Geistlichen unter Strafandrohung, eine Trauung vorzunehmen, bevor die standesamtliche Eheschließung vollzogen war. Ein im Volksmund „Brotkorbgesetz“ genanntes Edikt entzog der Kirche seit April 1875 alle staatlichen Zuwendungen. Kurz danach erfolgte die Aufhebung sämtlicher Klöster in Preußen. Bereits 1872 waren die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen worden. Bismarck bekräftigte in einer Rede vor dem Reichstag seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“.

Papst Pius IX., ein Mann von hartnäckigstem Selbstbewußtsein, ließ das natürlich nicht unbeantwortet. In seiner Enzyklika „Quod numquam“ vom 5. Februar 1875 wies er sämtliche Kulturkampfgesetze als ungültig zurück. Pius bezeichnete diese Auseinandersetzung „als einen wilden Sturm in einem Land, in dem die Kirche sonst hätte in Frieden leben können“. Die neuen Gesetze würden die göttliche Ordnung und die heiligen Rechte der Bischöfe zerstören. Alle Priester in Preußen wurden zum Widerstand aufgerufen.

Warum ließ sich Bismarck auf einen derart heftigen innenpolitischen Kampf ein? Der Reichskanzler argwöhnte, „daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theoretischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Beteiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat“, wie er in seinen Memoiren bekundete. Sie sei „unter kirchlichen Formen eine politische Institution“. Es ging ihm um die konsequente Trennung von Kirche und Staat. Unterstützt wurde er dabei anfangs von der Nationalliberalen Partei. Einer ihrer politischen Führer, der weltbekannte Mediziner Rudolf Virchow, prägte den Begriff „Kulturkampf“. In einem Aufruf zur Reichstagswahl 1873 bezeichnete er das Vorgehen des preußischen Staates gegen die katholische Kirche als „Kampf für die Kultur“.

Haftstrafen für widerspenstige Bischöfe und Geistliche

Im scharfen Gegensatz dazu stand die erwähnte Zentrumspartei. Ihr Vorsitzender Ludwig Windthorst profilierte sich als bedeutendster parlamentarischer Gegenspieler im Kulturkampf. Dem scharfzüngigen Rechtsanwalt aus Hannover wollte Bismarck seinen Respekt nicht verweigern, und er urteilte später: „Es gibt nicht zwei Seelen in der Zentrumspartei, sondern sieben Geistesrichtungen, die in allen Farben des politischen Regenbogens schillern, von der äußersten Rechten bis zur radikalen Linken. Ich für meinen Teil bewundere die Kunstfertigkeit, mit welcher der Kutscher des Zentrums all diese auseinanderstrebenden Geister so elegant zu lenken versteht.“

Ab 1875 eskalierte der Konflikt. Bischöfe und Geistliche, die sich nach der päpstlichen Enzyklika richteten, wurden abgesetzt und zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt. Zu den Abgeurteilten gehörten unter anderem im Februar 1874 der Erzbischof von Posen Mieczysław Kardinal Ledóchowski und der Trierer Bischof Matthias Eberhard. Ledóchowski wurde wegen seines öffentlichen Protestes gegen die Maigesetze zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt, von denen er allerdings nur 13 Monate unter höchst komfortablen Bedingungen absaß. Eberhard wurde als zweiter preußischer Bischof am 6. März 1874 verhaftet und zu einer Geldstrafe von 130.000 Mark und neun Monaten Haft verurteilt. Er starb ein halbes Jahr nach seiner Haftentlassung im Mai 1876 auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes. Zum Zeitpunkt seines Todes standen 250 Priester vor Gericht. Der Bischof von Münster Johannes Brinkmann und der Bischof von Limburg Peter Joseph Blum flohen ins Exil. Bei Beendigung des Konflikts waren 1.800 katholische Pfarrer inhaftiert und Kircheneigentum im Wert von knapp 16 Millionen Goldmark (das entspricht etwa dem heutigen Gegenwert von 120 Millionen Euro) beschlagnahmt worden.

Nach dem Tod von Papst Pius IX. 1878 entspannte sich der Konflikt unter seinem konzilianteren Nachfolger Leo XIII. Hinzu kam, daß Bismarck die Unterstützung der Zentrumspartei brauchte, nachdem er mit den Nationalliberalen wegen einer Außenhandelsfrage gebrochen hatte. Mit dem „1. Friedensgesetz“ von 1886 wurden fast alle Kulturkampfmaßnahmen aufgehoben.