© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Kalter Krieg am Start
Mit seiner als „Truman-Doktrin“ bekannten Leitlinie vollzog der US-Präsident vor 75 Jahren einen außenpolitischen Kurswechsel
Lothar Höbelt

Ein Kalter Krieg kommt selbstverständlich ohne Kriegserklärung aus. Doch wenn es eine solche gab, dann war es die sogenannte Truman-Doktrin vom 12. März 1947, die Kampfansage des Präsidenten an jegliche gewaltsame Machterweiterung des Sowjetblocks. Freilich: Aus innenpolitischen Gründen bezog sich Truman ausdrücklich bloß auf Hilfe für Griechenland und die Türkei. Der Kalte Krieg war damals freilich schon längst im Gange: Doch es waren nicht die USA, die ihn führten, sondern die Briten, die sich redlich bemühten, den Amerikanern Nachhilfe in Realpolitik zu erteilen. Notabene: Schon im Sommer 1944, kurz nach der Landung in der Normandie, kursierte im britischen Generalstab ein Memorandum, daß man die Deutschen eines Tages noch brauchen werde. 

Es war nicht zufällig Griechenland, das als Anlaß für die Truman-Doktrin diente. Dort hatte der „Kalte Krieg“ schon recht handgreiflich begonnen, während der Zweite Weltkrieg noch im Gange war. Bereits im Dezember 1944 kam es zu Kämpfen zwischen den Briten und den kommunistischen Partisanen der ELAS. Die Briten mußten mehrere Häfen im Norden des Landes räumen. Sie sahen sich gezwungen, noch während der Ardennenoffensive zwei weitere Brigaden auf den Balkan zu verlegen. Um den Flugplatz von Athen kam es zu erbitterten Kämpfen. Churchill selbst kam auf einen Lokalaugenschein vorbei. In Griechenland waren jetzt 70.000 Briten engagiert, über zweihundert von ihnen fielen. Erst am 15. Januar 1945 einigte man sich auf einen Waffenstillstand. 

Die US-Amerikaner beerbten das vorherige Engagement der Briten

Doch bereits anderthalb Jahre später ging der Bürgerkrieg weiter: Am 1. September 1946 hatten 69 Prozent der Griechen in einer Volksabstimmung für die Rückkehr des Königs gestimmt. Die Kommunisten waren nicht bereit, diese Entscheidung zu akzeptieren. Ihre Partisanen beherrschten bald den Großteil des Landesinneren. Die griechische Armee war ein Mischmasch aus nicht-kommunistischen Mitgliedern des Untergrunds der Kriegsjahre, Einheiten, die mit dem König im Exil gewesen waren, und Resten der Miliz des Besatzungsregimes der Achsenmächte. Sie verfügte kaum über Flugzeuge oder Fahrzeuge. Die Briten aber steckten nach dem Auslaufen des Lend-Lease-Programms selbst in einer veritablen Zahlungsbilanzkrise. Sie konnten den Aufwand nicht mehr bewältigen und gaben das Problem an die USA weiter. 

Nun ist es wenig verwunderlich, daß die beiden stärksten Faktoren innerhalb eines gegebenen Mächtesystems einander früher oder später als Rivalen betrachten. Überraschen kann im Rückblick allenfalls, wie sehr dieser Zusammenprall in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch äußerst schaumgebremst vor sich ging. Stalin war ein kluger Rechner. Er wollte mit allen Expansionsplänen warten, bis die Amerikaner auch tatsächlich aus Europa abgezogen waren. Er riet deshalb auch den Genossen in Italien und anderswo zur Zurückhaltung. Die US-amerikanische Öffentlichkeit wiederum war der Kriegswirtschaft überdrüssig. Generäle wie Patton, die sofort zu einem „rollback“ ansetzen wollten, waren Einzelfälle. Die „progressive“ Linke wollte ihre Illusionen über „Uncle Joe“ Stalin nicht aufgeben; die konservativen Rechten wiederum waren im Herzen doch vielfach „Isolationisten“ geblieben, die sich nicht für die Interessen des Britischen Empire schlagen wollten. 

Es sollte schließlich in erster Linie Tito in Jugoslawien sein, der Stalins Strategie unterminierte. Der ehemalige k.u.k. Unteroffizier hatte sich während des Krieges zum Unterschied von den KP-Satelliten weiter im Osten eine eigene Machtbasis aufgebaut. Er hatte den Briten schon 1945 um Klagenfurt und Triest ein Wettrennen geliefert und 1946 kurzerhand ein US-Flugzeug abgeschossen. Aus Jugoslawien und den Nachbarländern Albanien und Bulgarien bezogen die griechischen Kommunisten den Großteil ihrer Unterstützung, während die Sowjets sich auf Beobachter beschränkten. Als Molotow den Jugoslawen Vorhaltungen machte, sie sollten aufpassen, denn schließlich hätten die Amerikaner „die Bombe“, antwortete ihm sein Gegenüber achselzuckend: „Na und, wir haben die Partisanen ...“ 

In den USA war eine wesentliche Vorentscheidung im Juli 1944 gefallen. Alle wußten, Roosevelt war todkrank. Auf ihrem Parteitag in Chicago ließen die Demokraten deshalb den Links-Ausleger Henry Wallace als Vizepräsidenten fallen und nominierten stattdessen Harry Truman. Der farblos wirkende Kompromißkandidat war angesiedelt an der Schnittstelle zweier Elemente, die als Kern-Klientel der Partei gelten konnten, schon lange vor Roosevelts „New Deal“. Er kam aus einem Ausläufer des Südstaatenmileus in Missouri und er war Produkt eines robusten städtischen Partei-Apparats, der katholische Einwanderer um sich scharte. Die Verurteilung seines Protektors Tom Pendergast wegen Wahlbetrug und Steuerhinterziehung hätte 1939 beinahe auch Truman politisch das Genick gebrochen. Truman war im Ersten Weltkrieg zum Offizier gewählt (!) worden; zu seiner Lieblingslektüre zählte neben Plutarch eine mehrbändige Biographie von Südstaatengeneral Robert E. Lee, dessen Denkmäler inzwischen zur Zielscheibe einer ganz anderen Generation von Demokraten geworden sind. 

Truman trat nach Roosevelts Tod im April 1945 zunehmend aus dem Schatten seines Vorgängers. Er lud Churchill im Mai 1946 zu seiner Rede über den „Eisernen Vorhang“ nach Missouri ein. Er entließ im Herbst 1946 Henry Wallace, der weiterhin für eine Verständigung mit den Sowjets plädiert hatte; er kooperierte mit dem außenpolitischen Sprecher der Republikaner, Senator Arthur Vandenberg, und ernannte den parteilosen Generalstabschef George Marshall zum Außenminister. Damit war das Terrain aufbereitet, aber noch keine Entscheidung gefallen. Der Startschuß erfolgte erst, als am 21. Februar die Briten ihren Offenbarungseid leisteten und am 5. März die griechische Regierung offiziell um Hilfe ersuchte. Im Frühjahr 1947 bewilligte der Kongreß daraufhin 400 Millionen Dollar an Militärhilfe – ein Teil der Lieferungen bestand dann übrigens aus deutschem Material. 

Kombination von Titos Übermut und britischem Bankrott

1947/48 erfolgte die Gleichschaltung Ungarns und der Tschechoslowakei, aber als krönende Ironie auch der Bruch Titos mit Stalin. Tito hatte die Westmächte auf die Palme gebracht – und war dann zu ihnen „übergelaufen“. Die kuriose Kombination von Titos Übermut und britischem Bankrott katapultierten die USA vielleicht früher in eine offene Konfrontation, als es sonst der Fall gewesen wäre. Dieser Kalte Krieg erwies sich letztendlich als eine Erfolgsgeschichte, die Linke gerne verdrängen: Daß der alte Western-Held Reagan am Ende doch recht behalten hat, ist für sie eben schwer zu verdauen.

Foto: US-Präsident Harry S. Truman fordert vor dem Kongreß Wirtschafts- und Militärhilfen für Europas „freie“ Völker, Washington am 12. März 1947: Illusionen über „Uncle Joe“ aufgegeben