© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Fernweh-Fahrzeug?
VW versucht der Bully-Legende eine neue elektrifizierte Seele einzuhauchen
Bernd Rademacher

Der VW-Bulli ist ein Mythos. Kaum ein anderes Auto verkörpert so das Lebensgefühl einer Generation. Vor allem in Westdeutschland und Nordamerika wurde der Kleintransporter zur Ikone eines individualistischen Selbstverständnisses.

1950 mehr oder weniger zufällig auf Anregung eines niederländischen Kunden konstruiert, fand das praktische Gefährt in zahlreichen Varianten auf Anhieb Freunde und Anhänger: als Krankenwagen, als Verkaufsmobil, als Lieferfahrzeug oder Personentransporter.

Doch vor allem als Mini-Reisebus gewann der große Bruder des Käfers unzählige Liebhaber. Liebevoll ausgestattet mit Häkel-Deckchen, Troddeln und Girlanden, ging es am Wochenende im Bulli an den Baggersee. Erst wurde der VW-T2 zum Vehikel der Wirtschaftswunder-Mobilität, dann zum Statussymbol der 68er.

1973 bewarb die Erotik-Pionierin Beate Uhse den Kartenvorverkauf in ihren Sex-Shops für das „Love and Peace“-Rockfestival auf Fehmarn mit Jimi Hendrix durch eine bundesweite Werbekolonne – mit bunt bemalten Bullis.

Wie es fortschrittliche Studienräte der Generation 68’ wünschen

Heute sind die ca. 2,5 Millionen Exemplare des „Samba-Bus“ mit Faltschiebedach und 21 Fenstern längst gefragte Oldtimer mit Kult-Charakter, für die auf dem Gebrauchtmarkt Höchstpreise aufgerufen werden.

Das freundliche Gesicht mit den Kulleraugen-Scheinwerfern macht den Bulli zum Sympathieträger. Die meditative Höchstgeschwindigkeit von knapp über 100 Stundenkilometern je nach Windrichtung, der Sound des Boxermotors und die urige Ausstattung sorgen für ein positives Lebensgefühl.

Darum sind Bulli-Fans eine verschworene Familie. Wenn sie sich zum Fachsimpeln auf den „Bulli Days“ im niederrheinischen Wesel, beim Bullitreffen in Weyhe in Niedersachsen oder beim „Bulli-Festival“ im mecklenburgischen Zachun treffen, sind sich alle einig: Der „neue“ VW-T4 (Baujahr ab 1990) ist kein echter Bulli mehr! Ein wahrer Bulli hat einen luftgekühlten Motor – und zwar hinten! Der Nachfolger mit seiner längeren Schnauze „hat mit Bulli nix zu tun!“ ereifert sich T2-Besitzer Karsten. T5 bis T7 natürlich genausowenig. Die moderne Variante habe schlicht „keine Seele“.

Doch der Volkswagen-Konzern will das wilde Bulli-Lebensgefühl noch einmal aufwärmen. Fünf Jahre tüftelten die Entwickler an einer schon oft versprochenen zeitgemäßen Überarbeitung. Am 9. März wurde der „ID. Buzz“ offiziell vorgestellt – natürlich voll elektrisch, wie es fortschrittliche  und im Alter fortgeschrittene Studienräte der Generation Friedensbewegung heute wünschen.

Der ID. Buzz soll ab den Sommerferien beim Händler bestellbar sein und ab dem Herbst ausgeliefert werden. Trotz des nicht geringen Preises ab 60.000 Euro kündigte VW bereits längere Lieferzeiten an. Wem das zu teuer ist, der muß sich mit dem Playmobil-T2-Modell oder der Bulli-Keksdose begnügen.

Der E-Motor soll mit einer Leistung von 82 Kilowattstunden etwa 150 Kilowatt auf die Hinterachse bringen, das entspricht etwa einem 200-PS-Verbrenner. Das reicht laut VW für 145 Stundenkilometer – und eine Reichweite von 420 Kilometern – jedenfalls bei Rückenwind und behaglichen Temperaturen.

Dafür beherrscht das Fernweh-Fahrzeug die Technik des „bidirektionalen Ladens“. Durch den Zwei-Wege-Ladevorgang kann der Autoakku das Hausstromnetz versorgen. Das ist nicht nur praktisch, wenn die Windräder stillstehen oder Schnee auf den Solar-Dachpaneelen liegt, sondern auch um Campinggerät zu betreiben.

Die äußere Form (auf Wunsch in „Regenbogen-Zebra-Lackierung“) ist alles, was an dem neuen VW-Buzz retro ist – na schön, außer den Halteschlaufen statt Griffen über der Schiebetür. Im Cockpit gibt es keine Schalter, Tasten und Regler mehr, nur noch ein Touchpad. Das Display projiziert virtuelle Navigationshilfen auf die Straße. Genau das Richtige für Fahrradhelmträger, die sich Abenteuerkitzel, aber bitte mit maximaler Sicherheit wünschen.

Die Bildwelt der Internetpräsentation auf volkswagen.de verströmt Hippie-Romantik, man sieht eine glückliche Grünwähler-Familie mit ersten grauen Haaren und leichtem Migrations-Touch auf der Fahrt ins begrenzt wilde Idyll. 2025 soll übrigens auch der gute alte Camper als futuristischer „E-Buzz California“ zurückkehren.

Die Bullifans in Zachun oder Wesel werden sich mit Abscheu abwenden. Wie würde T2-Enthusiast Karsten sagen?: „Keine Seele.“

 www.volkswagen.de

Fotos: Aus alt mach neu: Die lange Geschichte der Bullys will der Konzern nicht vergehen lassen; Volkswagens neuer ID. BUZZ: Das wird nicht Karstens neuer Favorit.