© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Kabinenklatsch
In Geiselhaft für Putin
Ronald Berthold

Immerhin: Russische Sportler dürfen noch in deutschen Vereinen spielen. Die Bild-Zeitung droht zwar bereits: „Diese Entscheidung dürfte noch für reichlich Diskussionen sorgen!“ Aber die deutschen Profiligen im Eishockey, Hand-, Volley- und Fußball wollen Russen zunächst nicht ausschließen. Ich muß wirklich „zunächst“ schreiben, denn die Entwicklung ist ja extrem dynamisch. Wer hätte zum Beispiel gedacht, daß bei deutschen Orchestern plötzlich Tschaikowski auf dem Index steht? Der große Komponist hat mit Putins Überfall auf die Ukraine genauso wenig zu tun wie junge Sportler.

Wir leben in einem Land der Pauschalisierungen. Alles ist nur noch schwarz oder weiß. Wer differenziert, macht sich verdächtig. Ja, ich finde Rußlands Krieg abscheulich. Aber muß ich es deswegen gut finden, wenn dessen behinderte Sportler auf den letzten Drücker von den Paralympics ausgeschlossen werden? Nein, ich finde das empörend. Stellen Sie sich mal einen Rollstuhlfahrer aus Sibirien vor, der vier Jahre mit allen Beschwernissen für dieses große Turnier trainiert hat. Und jetzt muß er unverrichteter Dinge abreisen. Er lehnt Putin vielleicht genauso ab wie Sie und ich.

Wer die Sportler eines ganzen Landes in Geiselhaft für einen Kriegstreiber nimmt, gibt kein gutes Vorbild für die oft gepriesene Vielfalt und Meinungsfreiheit ab. Wie soll der Westen auf junge Russen anziehend wirken, wenn diese Werte nichts mehr gelten? Treiben wir sie damit nicht sogar noch mehr in Putins Wagenburg? Wo wir doch alle so gern Zeichen setzen: Wäre es nicht ein viel besseres Zeichen gewesen zu sagen, wir sind anders, wir grenzen keinen aus, nur weil sein Staatschef durchdreht?