© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Der Flaneur
Stunk hält jung
Elke Lau

Seit Ausbruch der Pandemie hat sich der Umgangston drastisch verschärft. Das trübe Wetter bessert die Laune der Menschen schon gar nicht. Auch nicht die des Ehepaares, das sich vor uns am Eingang zum Supermarkt lautstark beharkt und sich nicht mal durch unseren flapsigen Spruch „Stunk hält jung“ ablenken läßt.

Wir hatten vor vielen Jahren ein Rezept gegen miese Stimmung gefunden. Als Zankereien um Nichtigkeiten überhandnahmen, hatten wir eine Nörgelkasse eingerichtet. Jeder, der meckerte, mußte zahlen. Meistens ich. Nach vier Wochen war Ruhe, und eine stattliche Summe befand sich im Sparschwein.

Streithammel kennen kein Pardon: „Hinten anstellen, oder denken Sie, wir warten auf den Nachtfrost.“

Im Einkaufszentrum herrscht heute lebhaftes Treiben. Das hindert einen Kunden nicht daran, in seinem Elektrorollstuhl mit Affenzahn durch die Gänge zu kurven. Später steht er an der Kasse vor uns, legt zwei Bierflaschen auf das Band und besteht auf Kartenzahlung. Die funktioniert erst nach dem dritten Versuch. Er fährt dann ein paar Meter in Richtung Bäckerstand, parkt sein Gefährt und versucht, sich zu Fuß an der Warteschlange vorbeizudrängeln. Aber die Streithammel von vorhin kennen kein Pardon: „Hinten anstellen, oder denken Sie, wir warten auf den Nachtfrost.“

Für uns geht es jetzt zum Zeitungskiosk. Schräg gegenüber hatte noch vor wenigen Monaten ein Obdachloser auf einer Privatbank „gewohnt“, den der Besitzer mit Hilfe eines Anwalts vertreiben konnte. Jetzt ist der Mann zurückgekehrt, hat sich mit Zelt und Sammelbüchse auf einer städtischen Bank häuslich eingerichtet, sehr zum Ärger des Zeitungshändlers.

„Dieser Tippelbruder erschleicht sich noch zusätzliche Almosen! Er bietet denen, die hier die gebührenpflichtige Toilette benutzen möchten und nur einen Euro besitzen, ein 50-Centstück an und spekuliert auf die Dankbarkeit der Menschen. Offensichtlich mit Erfolg! Gestern wechselte der Schnorrer schon mal vierzig Euro Klimpergeld bei mir in Spirituosen ein.“

Wir zahlen mit Schein und befreien den Händler schon mal von einer Handvoll Münzen.