© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Ukraine-Krieg
Ideologie trifft auf Realität
Dieter Stein

Der Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine reißt nicht ab. Bald drei Millionen Menschen sind vor dem Krieg geflohen – vor allem nach Polen, das einen Großteil von ihnen aufnimmt. Doch auch Deutschland sollen schon fast 200.000 Ukrainer erreicht haben. Und die Hilfsbereitschaft ist überwältigend – man muß sich nur im privaten Kreis umhören.

Schon werden jedoch Stimmen lauter, die sich mit hochgezogenen Augenbrauen über die bis zur AfD reichende Aufnahmebereitschaft echauffieren. Die Kritik an der neuen „Willkommenskultur“ kommt im Gegensatz zur Asylkrise 2015 aber nicht von rechts, sondern von links.

Linke Verwunderung über die große Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Flüchtlingen.

Es scheint für viele Befürworter einer unkontrollierten Einwanderungspolitik schwer zu verkraften zu sein, daß viele Deutsche – und Europäer – sehr wohl unterscheiden: Ob europäische „Verwandte“ um vorübergehenden Unterschlupf bitten, um nach Kriegsende baldmöglichst wieder in die Heimat zurückzukehren. Oder ob es sich um Migranten aus ferneren Landen handelt, bei denen im Schnitt nicht nur geringere Integrationsbereitschaft vorhanden ist, sondern in der Praxis eine geringe Neigung existiert, wieder nach Hause zurückzukehren, wenn sich im Heimatland die Lage beruhigt. 

Deshalb klagt die Kommunikationswissenschaftlerin Carola Richter bitter gegenüber dem Evangelischen Pressedienst epd, die Ukraine werde von den Medien als „modernes, europäisches Land hingestellt“, während „islamisch geprägte Länder“ als „kulturfern und mit nichtkompatiblen Werten dargestellt“ werden. Entspricht dieses Bild nicht schlicht den in den vergangenen Jahren gemachten harten Erfahrungen?

Die Migrationsforscherin Zeynep Yanasmayan moniert in der FAZ eine „starke Politik des Angstmachens und der Kriminalisierung von Migranten“. Nun werde auf einmal in Medien in bezug auf ukrainische Flüchtlinge von „Leuten aus der zivilisierten Welt“ oder „Menschen mit blauen Augen“ berichtet. Frauen mit Kindern paßten obendrein „eher zu der Vorstellung, die wir von Flüchtlingen haben“, sie gelten als „vulnerabel“ und „normalerweise auch nicht als gefährlich“. Die Unterscheidung zu „jungen syrischen Männern“ sei „jetzt aber nicht angemessen“, so die Forscherin.

Im Gegenteil: Viele Bürger sind berührt von den herzzerreißenden Bildern, wie sich Mütter mit ihren Kindern an der Grenze von ihren Männern verabschieden, die überwiegend zurückbleiben, um für ihre Heimat in einer fast aussichtslosen Lage zu kämpfen. Viele ertappen sich bei der Frage: Wer würde das heute noch für Deutschland tun?