© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Ländersache: Rheinland-Pfalz
Rette mich, wer kann
Christian Schreiber

Es ist selbst im skandalerprobten Rheinland-Pfalz ein ungewöhnlicher Vorgang. Dem Nachrichtenmagazin Focus liegen seit einigen Tagen Kurzmitteilungen der Umweltministerin Anne Spiegel vor, die diese während der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 mit engen Mitarbeitern, darunter ihrem Pressesprecher, ausgetauscht hatte. Dabei soll die Grünen-Politikerin den Eindruck erweckt haben, es ginge ihr weniger um die Notlage der Menschen, sondern vielmehr darum, ihr Krisenmanagement in einem für sie positiven Licht erscheinen zu lassen. 

Der stellvertretende Regierungssprecher Dietmar Brück hatte am Morgen des 15. Juli geschrieben: „Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“. Gemeint war eine öffentliche Rolle, eine gute Position für die Politikerin. Spiegel antwortete darauf: „Das Blame Game [Schuldzuweisungen] könnte sofort losgehen.“ Weiter fügte sie hinzu: Nötig sei „ein Wording, daß wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“ Vor allem vor der Reaktion des Innenministers Roger Lewentz habe Spiegel Angst gehabt. „Ich traue es Roger zu, daß er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten und daß es an uns liegt, weil wir die Situation unterschätzt hätten“, heißt es in einer weiteren Nachricht. 

Bei der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 waren im nördlichen Rheinland-Pfalz 135 Menschen ums Leben gekommen, rund 750 wurden verletzt. Spiegel steht seit den Tagen nach der Katastrophe in der Kritik, im besagten Zeitraum schlecht erreichbar gewesen zu sein. Mit der Aufarbeitung des Geschehens beschäftigt sich mittlerweile ein Untersuchungsausschuß des rheinland-pfälzischen Landtags, vor dem die Ministerin am vergangenen Freitag aussagen mußte. 

Es kommen peinliche Details ans Tageslicht. Während die zu ihrem Ministerium gehörende Landesumweltbehörde am Nachmittag des 14. Juli für die Ahr längst katastrophale Rekordpegelstände weit über dem bisherigen Jahrhunderthochwasser vorausgesagt hatte, ließ Spiegel eine Presseerklärung veröffentlichen, in der es hieß, es drohe „kein Extremhochwasser“ und das Land sei auf Hochwasserereignisse „gut vorbereitet“. Spiegel argumentiert heute, sie habe sich auf ihre Fachleute verlassen. Immerhin: Das Wort Campingplatzbesitzer wollte sie noch gendern lassen.

Ihre Aussage im Ausschuß ließ die meisten Fragen unbeantwortet. Zum Beispiel, was die Ministerin an besagtem Abend tat. Die Nachrichten seien mißverständlich gewesen, sagte sie. Es seien aber auch nur zwei von 1.000 gewesen. Zu Innenminister Lewentz habe sie ein gutes Verhältnis. Spiegel schaffte es im Herbst vergangenen Jahres von der Landes- in die  Bundespolitik. Derzeit übt sie sich im Aussitzen. Ihre Social-Media-Kanäle werden kaum noch bedient. Sie erhalte permanent Morddrohungen, sagt sie. 

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