© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Ordnung im Chaos
Ukraine-Krieg: Länder verlangen Entlastung durch den Bund
Florian Werner

Auch knapp drei Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bestimmt der Krieg dort den politischen Diskurs in Deutschland. Im Fokus der Debatten standen jüngst vor allem die durch den Konflikt sprunghaft gestiegenen Energiepreise und der Umgang mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen.

Bis zuletzt kamen täglich Tausende Ukrainer in Berlin an. Die Stadt hat deshalb kurzfristig zusätzliche Notunterkünfte geschaffen – beispielsweise auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Tegel. Dem Deutschen Roten Kreuz zufolge soll sich die Versorgungslage vor Ort mittlerweile allerdings rapide verschlechtern. Die Schwierigkeiten würden schon bei der Beschaffung elementarer Sanitäreinrichtung anfangen. „Der Markt mit Duschkabinen ist leergefegt. Unsere Fachleute berichten uns: Es gibt keine“, berichtete etwa DRK-Sprecher Karsten Hintzmann der Berliner Zeitung.

Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erneuerte deshalb ihren drängenden Appell, der Bund möge sich nun endlich um die deutschlandweite Verteilung von Flüchtlingen kümmern. „Wir sind darauf angewiesen, daß der Bund die Koordinierung übernimmt, die Registrierung klärt und weiteres Personal nach Berlin schickt“, sagte die Sozialdemokratin. Darüber hinaus bat die Politikerin die Bundeswehr um Mithilfe bei der Versorgung der Neuankömmlinge in der deutschen Hauptstadt. 

Um Berlin zu entlasten, wurde Hannover derweil zu einem Drehkreuz in der Verteilung neu ankommender Flüchtlinge erklärt. Die niedersächsische Landesregierung hat zu diesem Zweck eine Direktverbindung zwischen Warschau und dem Messebahnhof Laatzen eingerichtet und auf dem Messegelände Platz für etwa 1.000 Flüchtlinge geschaffen. Auch Großstädte wie Hamburg und München melden mittlerweile immer weiter ansteigende Ankunftszahlen.

Vor diesem Hintergrund hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigt, die ankommenden Ukrainer zukünftig zentral auf alle Bundesländer zu verteilen. Nach Gesprächen mit den Innenministern der Länder teilte sie mit: „Wir haben vereinbart, daß wir nun verstärkt nach dem Königsteiner Schlüssel diejenigen Geflüchteten auf die Länder verteilen, die nicht privat in Familien oder bei Bekannten untergebracht und versorgt werden.“ Unterdessen forderte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Länder dazu auf, dem Bund ihre Aufnahmekapazitäten zu melden. „Zunächst einmal muß man jetzt ganz schnell für eine geordnete Verteilung der Flüchtlinge sorgen“, mahnte er im Deutschlandfunk. Aufgrund fehlender Informationen habe die Bahn in der Vergangenheit oftmals schlicht und einfach nicht gewußt, wohin sie Ukrainer bringen sollte.

Bildungsministerin will ukrainische Lehrer für Unterricht anwerben

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat inzwischen aufgrund der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen angeregt, aus der Ukraine geflüchtete Lehrer auch in Deutschland unterrichten zu lassen. Der russische Präsident Wladimir Putin treibe Frauen und Kinder mit seiner Invasion auch nach Deutschland. Es brauche daher ausreichend Kita- und Schulplätze für die Neuankömmlinge. „Dabei werden sicher auch geflüchtete ukrainische Lehrkräfte helfen wollen und können“, teilte die Politikerin mit. Außerdem müsse der russische Überfall auf die Ukraine auch in den Schulen behandelt werden. „Es ist wichtig, daß der russische Angriff auf die Ukraine und die Folgen für Deutschland und Europa auch im Schulunterricht altersgerecht thematisiert werden“, betonte sie. In Anbetracht der über den Krieg verbreiteten Desinformation müsse es eine angemessene Einordnung geben, die die Sorgen der Schüler aufgreife.

Am Wochenende hatten sich zuletzt wieder Zehntausende Menschen im ganzen Land zu Friedensdemonstrationen zusammengefunden. Unter dem Motto „Stoppt den Krieg“ forderten viele von ihnen ein Embargo auf alle russischen Energieimporte. Davor hatte in der Vergangenheit auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) immer wieder gewarnt. Ein Stopp für russisches Öl und Gas würde seiner Ansicht nach in Deutschland zu „schwersten“ Schäden führen. Um Verbraucher zu entlasten, stellte er unterdessen ein Maßnahmenpaket in Aussicht. „Extrem hohe Heizkosten, extrem hohe Strompreise, extrem hohe Spritpreise belasten Haushalte, und je geringer die Einkommen, desto stärker. Die Bundesregierung wird daher ein weiteres Entlastungspaket auf den Weg bringen“, betonte Habeck laut Deutscher Presse-Agentur. Den Vorschlag von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), einen sogenannten Tank-Zuschuß einzuführen, um den Benzinpreis unter der Zwei-Euro-Marke zu halten, lehnte er hingegen ab.

In einer gemeinsamen Stellungnahme wiesen die Landwirtschaftsminister von CDU und CSU derweil auf die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Kostensteigerungen in der deutschen Landwirtschaft hin. Die Ukraine sei die Kornkammer Europas und ein wichtiger Erzeuger von Sonnenblumen, Mais, Weizen und Raps. „Wir betrachten mit großer Sorge die Auswirkungen des Preisanstiegs bei wichtigen Agrarprodukten auf die heimische Landwirtschaft“, teilten die fünf Minister in der sogenannten Warberger Erklärung mit. Zwar sei die Lebensmittelversorgung in Deutschland nicht unmittelbar bedroht. Allerdings würden Nutztierhalter stark unter steigenden Futtermittelpreisen leiden. „Die Nutztiere haltenden Betriebe, sie sich ohnehin in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden, werden dadurch noch weiter unter Druck gesetzt“, warnten die Christdemokraten.

Unklar bleibt indes weiterhin, welchen Erfolg die Reise von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) nach Moskau hatte. Dieser war am Wochenende ohne Wissen der Bundesregierung in die Stadt gereist, um mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu reden. Bisher haben sich jedoch weder Schröder selbst noch der Kreml zum Ergebnis des Treffens geäußert. 

Foto: Kriegsflüchtlinge kommen mit dem Zug in Hannover an: „Altersgerecht thematisieren“