© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Werben fürs Sterben?
Strafrecht: Die Ampel-Koalition arbeitet ihre gesellschaftspolitische Agenda zügig ab und kippt das Werbeverbot für Abtreibung
Christian Vollradt

Die Tage des Paragraphen 219a im Strafgesetzbuch sind gezählt. Am Mittwoch vergangener Woche segnete das Kabinett einen Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ab, mit dem das Verbot, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben, aufgehoben wird. Der Liberale hatte den derzeitigen Zustand als „unhaltbar“ bezeichnet, wenn Ärzte, die im Internet „sachlich über ihre Arbeit und mögliche Methoden informierten“, mit strafrechtlichen Ermittlungen und Verurteilungen rechnen müßten. Zugleich suchten heutzutage Frauen in einer schwierigen Gewissensentscheidung auch im Internet nach Rat. Hier müsse „das Recht der Gegenwart angepaßt werden“.

Überraschend kam die Entscheidung nicht. Denn alle Ampel-Parteien hatten in ihrem jeweiligen Wahlprogramm die Abschaffung des 219a versprochen und dieses Ziel im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums sieht allerdings noch mehr vor: Sämtliche strafgerichtliche Urteile wegen einer Werbung für den Schwangerschaftsabbruch, die nach dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, sollen aufgehoben und entsprechende noch laufende Verfahren eingestellt werden. Zudem sollen die wegen des Delikts verurteilten Ärzte rehabilitiert werden. Einem Ministeriumssprecher zufolge hat es eine vergleichbare Regelung als rechtshistorischen Präzedenzfall bisher nur für Verurteilungen nach dem früheren Strafrechtsparagraphen 175 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen gegeben. 

„Mit Ideologie an den Fakten vorbei“

Heftige Kritik an den Plänen der Bundesregierung kam von der Opposition. Mit der Aufhebung des Werbeverbots für Abtreibungen werde nicht Frauen, die ungewollt schwanger sind, geholfen, sondern vielmehr die grundrechtliche Verpflichtung des Staates mißachtet, auch ungeborenes Leben zu schützen, bemängelte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU). Er prognostizierte, nun sei „mit offener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu rechnen“. Wer den betroffenen Frauen wirklich helfen wolle, müsse unter anderem unabhängige Beratungsstellen stärken, forderte der Rechtspolitiker. „Mit Ideologie argumentiert die Ampel-Regierung hierbei an den Fakten vorbei“, kritisierte Krings mit Blick auf die Begründung. Es gebe bereits umfangreiche Informationsmöglichkeiten. Das Vorhaben sei ein „Dammbruch“, der „unsere Gesellschaft in dieser wichtigen ethischen Frage zu spalten“ drohe. 

Auch die AfD sparte nicht mit Kritik: „Ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben: Ohne Wenn und Aber. Dieses Recht will ihnen die Ampel-Koalition schrittweise absprechen“, mahnte die stellvertretende Partei- und Fraktionschefin Beatrix von Storch. 

Die Bundesregierung betonte demgegenüber, daß auch nach der Streichung der strafrechtlichen Bestimmungen „begleitende Änderungen des Heilmittelwerbegesetzes gewährleisten sollen, daß Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zukünftig nur unter den strengen Vorgaben des Heilmittelwerbegesetzes erlaubt ist“. Damit werde sichergestellt, „daß die Aufhebung des Werbeverbots nicht zu Lücken im grundrechtlich gebotenen Schutzkonzept für das ungeborene Leben führt.“ 

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte der Paragraph 219a den Bundestag beschäftigt. Die Bestimmung untersagt das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in grob anstößiger Weise geschieht. Damit soll sichergestellt werden, daß Abtreibung nicht als normale medizinische Dienstleistung angesehen wird. Die damalige Große Koalition war in der Frage uneins. Während die Union keinerlei Änderungsbedarf sah, wollte die SPD die Streichung des 219a durchsetzen.

Zur Wahrung des Koalitionsfriedens wurde die Kontroverse mit einem mühsam ausgehandelten Kompromiß beigelegt. Danach durften Ärzte und Krankenhäuser auf ihrer Internetseite darüber informieren, daß sie die Abtreibungen durchführen. Zudem erstellte die Bundesärztekammer eine regelmäßig aktualisierte Liste von Ärzten und Krankenhäusern, bei denen Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. 

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