© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Eine fast einheitliche Front
Der Ukraine-Konflikt im internationalen Kontext: Sanktionen, Dialoge und vornehme Zurückhaltung
Marc Zoellner

Diese Kampfansage sollte die ukrainischen Westverbündeten wie ein Hammerschlag treffen: „Wir haben die USA gewarnt, daß die groß aufgezogenen Lieferungen von Waffen durch eine Reihe von Staaten nicht nur ein gefährlicher Schritt sind“, betonte der russische Vizeaußenminister Sergei Ryabkow vergangenen Sonnabend unmißverständlich die Position Rußlands zum Ukraine Krieg. Mit diesem Schritt würden „die Konvois ebenso zu legitimen Zielen“ der russischen Armee; jeglicher weitere „leichtfertige Transfer von Waffen in die Ukraine“ trüge dementsprechende Konsequenzen. Wie zum Beweis seiner Aussage hatten strategische Bomber der „Russischen Luftstreitkräfte“ noch am gleichen Abend den ukrainischen Truppenübungsplatz Jaworiw bombardiert. Der nur 15 Kilometer von der polnischen Grenze entfernte Übungsplatz wurde in den vergangenen Jahren oftmals auch von Nato-Personal zum gemeinsamen Training mit ukrainischen Soldaten genutzt.

Die Nato und insbesondere die USA nahmen die deutliche Warnung Ryabkows ausgesprochen ernst. Bereits am Freitag vergangener Woche hatte Joe Biden klargestellt, „jeden einzelnen Inch des Nato-Territoriums“ verteidigen zu wollen. Doch wollen die USA „keinen Krieg gegen Rußland in der Ukraine führen“, so der US-Präsident. Denn ein „direkter Konflikt zwischen der Nato und Rußland in der Ukraine ist ein Dritter Weltkrieg, etwas, das wir zu verhindern trachten.“

Stattdessen setzt Washington ebenso wie seine europäischen Partner weiterhin auf wirtschaftliche Sanktionen, speziell im Im- und Export von Luxusgütern aus und nach Rußland, sowie – ungeachtet der Moskauer Abschreckungsmanöver – der weiteren Auslieferung strategisch wichtiger Waffensysteme in die Ukraine. Zu diesem Zweck hatte der US-Kongreß bereits vor einer Woche ein umfassendes Hilfspaket in Höhe von 13,6 Milliarden US-Dollar, umgerechnet rund 12,4 Milliarden Euro, beschlossen, welches je zur Hälfte militärische sowie humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in der Ukraine finanziell bestärken soll. 

Schweden und Finnland fürchten Putins Expansionsdrang 

„Wir werden sicherstellen, daß die Ukraine Waffen hat, um sich gegen die russischen Streitkräfte zu verteidigen“, erklärte Biden während einer Pressekonferenz im Weißen Haus. „Wir senden Geld und Lebensmittel, um die ukrainische Bevölkerung abzusichern.“ Der Forderung der polnischen Regierung sowie US-republikanischer Politiker nach einer Belieferung Kiews mit Kampfflugzeugen werde Washington aus praktischen Gründen hingegen nicht nachkommen.

Den Vorwurf des Kreml, in der Ukraine Biowaffenforschung zu betreiben oder auch nur zu unterstützen, wies die US-Regierung scharf zurück: Rußland erfindet falsche Vorwände im Versuch, seine eigenen entsetzlichen Taten zu rechtfertigen“, hieß es aus dem US-Außenministerium. „Diese russische Falschinformation ist totaler Unsinn.“

Angesichts der immer aggressiver geführten Kampfhandlungen in der Ukraine hofft indessen gleich eine ganze Reihe russischer Nachbarländer um westlichen Beistand zur Prävention einer russischen Invasion: Eine beschleunigte Aufnahme in die Europäische Union streben derzeit neben der Ukraine auch Moldawien und Georgien an. In beiden Staaten sind russische Truppenverbände präsent – sowohl in Moldawiens separatistischer Provinz Transnistrien als auch in den beiden georgischen Regionen Abchasien und Südossetien. 

In Schweden steht die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson derzeit aufgrund ihrer ablehnenden Haltung zu einer Nato-Mitgliedschaft ihres Landes in der Kritik der bürgerlich-konservativen Opposition. Derweil hatte sich der finnische Präsident Sauli Niinistö bereits in der vorvergangenen Woche mit US-Präsident Biden getroffen, um eine Aufnahme Finnlands in das Verteidigungsbündnis zu besprechen. 

Tief gespalten zeigt sich derzeit auch die Bevölkerung des zentralasiatischen Kasachstan, welches im Oktober 1990 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangte, jedoch traditionell weiterhin gute Beziehungen zu Moskau pflegt. Erst im Januar dieses Jahres hatte Rußland dem autokratisch regierenden Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew mit der Entsendung von 2.300 Soldaten gegen eine breite Front an Demonstranten den Verbleib an der Macht gesichert. 

Anfang März allerdings ließen kasachische Sicherheitsbehörden überraschenderweise erneut größere Demonstrationen zu: Über 2.000 Kasachen protestierten in der größten Metropole des Landes, Almaty, gegen die russische Invasion der Ukraine. In der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan, bis 2019 als Astana bekannt, wächst die Sorge vor einer möglichen Abspaltung der etwa zwanzig Prozent betragenden russischen Minderheit. Auch aus Kirgistan wurden dem Nachrichtenmagazin The Diplomat zufolge Berichte bekannt, wonach hiesige Behörden Autofahrer abmahnten, die ihr Fahrzeug mit einem „Z“ – dem Zeichen der russischen Armee in der Ukraine – versehen hatten.

Der international immer weiter schrumpfende diplomatische Spielraum Rußlands läßt selbst engen Verbündeten des Kreml kaum mehr Bewegungsfreiheit: Anfang März verurteilten auf der Generalversammlung 141 der 193 Mitgliedsstaaten den russischen Einmarsch in die Ukraine. Neben Rußland votierten lediglich vier weitere Staaten für Moskaus Konfliktnarrativ – mit Weißrußland, Eritrea, Syrien und Nordkorea allesamt Staaten auf den hinteren Rängen des „Demokratieindex“. Neben Kuba hatten sich auch Indien und China der Stimme enthalten. „Indien ist auf der Seite des Friedens“, begründete Premierminister Narendra Modi seine Neutralität. 

Ankaras schwieriger Balanceakt zwischen Kiew und Moskau 

Peking wiederum, das erst im Januar 2019 erneut die „volle Unterstützung für die Unabhängigkeit, Staatshoheit und territoriale Unversehrtheit der Ukraine“ zusicherte – im Austausch für Kiews Unterstützung der chinesischen „Ein-China-Politik“ gegen Taiwan – sieht sich in diesem Krieg förmlich zwischen den Stühlen hockend, jedoch ebenso in der Rolle eines potentiellen Vermittlers. Moskau offiziell zu verurteilen oder auch sich den westlichen Sanktionen anzuschließen, lehnte Peking bislang ab. Medienberichte, wonach Rußland China um Waffenverkäufe gebeten habe, betitelte Yang Jiechi, einer der ranghöchsten Diplomaten Chinas, diesen Montag erst bei einem Treffen mit seinem US-Amtskollegen Jake Sullivan als „Fake News“.

Einiges auf dem Spiel steht auch für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Ankaras Drahtseilakt, die Balance seiner Beziehungen sowohl mit Moskau als auch mit Kiew aufrechtzuerhalten, gestaltet sich schwierig: Immerhin ist die Türkei erklärte Schutzmacht der Krimtataren und eingefleischter Gegenspieler Rußlands in den Bürgerkriegen Libyens und Syriens. Allerdings verband  Erdoğan bislang eine feuererprobte Freundschaft mit Putin – letzterer hatte als erstes ausländisches Staatsoberhaupt dem türkischen Präsidenten während des Putschversuchs von 2016 öffentlich Rückendeckung gewährt. Um seinen Einfluß auf dem diplomatischen Parkett auszuweiten, sähe sich Ankara gern als Gastgeber kommender Verhandlungsrunden zwischen Kiew und Moskau.

Foto: Verkauf von „Putin Punch“-Soda in New Britain (Connecticut): Putin-Bashing in den USA