© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Wie belastbar ist die Schuldentragfähigkeit Deutschlands und der EU?
Enteignung durch Inflation
Dirk Meyer

Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg waren „Schwarze Schwäne“, mit denen kaum einer gerechnet hat. Die Staaten reagierten mit Milliardenprogrammen. Hinzu kommen die Kosten der Energie-Transformation. Dies spiegelt der Bundeshaushalt wider: Corona-Paket (130 Milliarden Euro), Bundeswehrfonds (100 Milliarden), Klimafonds (200 Milliarden Euro); steigende Defizite der Sozialhaushalte und Steuerentlastungen. Hinzu kommt der EU-Wiederaufbaufonds (NGEU/830 Milliarden) und die EU-Kurzarbeiterhilfe (Sure/100 Milliarden Euro); als Vorschlag liegt ein dauerhafter EU-Resilienz-Krisenfonds auf dem Tisch. Vieles davon wird auf Kredit finanziert, doch wie soll die spätere Tilgung erfolgen?

Während Deutschland mit 2,5 Billionen Euro (71,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts/BIP) Ende 2021 noch relativ gut dastand, lag der Durchschnitt der Schuldenstandsquoten der Euroländer bereits bei 100 Prozent. Besonders düster sah es bei Griechenland (203), Italien (154), Portugal (128), Spanien (121) und Frankreich (115) aus. Der hanseatische Kaufmann hätte eine gewisse Vorsorge für schlechte Zeiten getroffen. Doch die von der Wählergunst abhängigen Haushälter kalkulieren anders: Lastverschiebung in die Zukunft und/oder Verlagerung auf „besserverdienende“ Minderheiten. Doch Steuererhöhungen haben ihre Grenzen: Es drohen Firmenabwanderung, negative Leistungsanreize und Steuerhinterziehung. Lediglich Immobiliensteuern und die Mehrwertsteuer erschweren Ausweichreaktionen. Unpopulär wäre eine einmalige Vermögensabgabe, insbesondere wenn Italiener oder Griechen auf EU-Hilfen bauen können.

Diesen Ländern wird zudem ermöglicht, ihre Schuldenlast über EU-Fonds zu „externalisieren“. So sind die Krisenfonds nicht nur kreditfinanziert, sondern begünstigen die Hochschuldenländer zu Lasten der „reichen“ Euro-Staaten. Buchhaltertricks sind die Auslagerung von Ausgaben in Nebenhaushalte (Sonderfonds) zur Umgehung der Schuldenbremse. Diese beinhalten teilweise „nur“ Kreditermächtigungen, geben aber bereits heute Kreditmittel für die Zukunft frei und engen damit Entscheidungsspielräume für spätere Jahre ein. Auf EU-Ebene werden die Kredite der neuen Fonds nicht anteilig den Mitgliedstaaten zugerechnet, obwohl diese dafür gesamtschuldnerisch („Eurobonds“) haften. Die ohnehin hohen Schuldenstandsquoten sind deshalb geschönt. Sodann überlegt man neuerdings durch eine Erhöhung der Euro-Schuldenregel von 60 auf 100 Prozent des BIP eine Anpassung der Vorgaben an die Realität.

Doch das sind alles Täuschungsmanöver, die die Kapitalmärkte durchschauen und mit Zinsaufschlägen bestrafen. Deshalb wird eine Zwischen- bzw. Endlagerung der Staatsanleihen bei der EZB so wichtig, die derzeit etwa 31 Prozent der Staatsschulden der 19 Euroländer hält. Schließlich bleibt die Entschuldung: direkt über einen Schuldenschnitt, indirekt über Inflationierung. So hat Griechenland zwischen 2012 und 2018 Schuldenerleichterungen von insgesamt über 321 Milliarden Euro erhalten. „Eleganter“ scheint die Entschuldung durch anhaltende Inflationierung. Gemäß einer Faustformel halbiert sich der reale Schuldenwert, indem man 70 durch die Inflationsrate teilt – bei fünf Prozent Inflation wären es 14 Jahre, alles zu Lasten der Schuldner. Es drohen ungemütliche Zeiten für Sparer.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.