© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Wohin, wenn Bomben fallen?
Zivile Schutzbauten: Von 2.000 Bunkern wäre im Verteidigungsfall kein einziger mehr einsatzbereit
Martina Meckelein / Erik Weinert

Was haben Kirchen und Bunker gemeinsam? Klar, in ihnen wird viel gebetet. Und sonst? Beide können entwidmet werden. Was bei Kirchen noch recht häufig zu Unmutsäußerungen führt, ist bei den Bunkern, jedenfalls in Deutschland, seit 2007 Usus. Still und leise wurden sie aus der Zivilschutzbindung entlassen. Wer auf die Seiten des Bundesamtes für Katastrophenschutz geht, könnte den Eindruck gewinnen, daß der größtmögliche Ernstfall ein Sturm oder ein Hochwasser ist. Wie gut wir dafür gerüstet sind, wissen wir alle seit der Katastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr genau – nämlich gar nicht. Wie sieht es nun im Kriegsfall aus? Die Bestandsaufnahme kommt einem Desaster gleich.

„Öffentliche Schutzräume wie zum Beipiel Luftschutzbunker gibt es nicht mehr“, lautet die Antwort von Anthea Paul aus der Pressestelle des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Wir wollten Genaueres zur Historie, den verschiedenen Formen, Funktionen und der Anzahl der zivilen Schutzbauten wissen. Immerhin gab es einmal 2.000 Bunker für die Bevölkerung in Deutschland. Doch das BBK führt weiter aus, ein „Interview sowie ein Dreh sind aufgrund der derzeitigen Lage terminlich leider nicht möglich“.

Die Behörde scheint ja viel um die Ohren zu haben: Sie meldet, daß die Strahlenwerte des angeschossenen Atomkraftwerks Saporischschja in der umkämpften Ukraine sich in normalen Parametern bewegen. Und daß jetzt eine Corona-Warn-App kostenlos auf ukrainischen Handys freigeschaltet ist. Die Behörde hat sogar einen Rat für Schutzsuchende: „Doch auch ohne öffentliche Einrichtungen gibt es natürlich Schutzmöglichkeiten. Guten Schutz bietet generell die vorhandene Bebauung, sowohl vor fliegenden Objekten als auch vor Kontamination mit chemischen oder nuklearen Stoffen.“ Auf der Netzseite des BBK unter dem Punkt „Fragen, die uns derzeit verstärkt erreichen“ finden sich weitere Informationen.

Auch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Bonn kümmert sich um Bunker. Seit September 2020 ist sie mit der Bewirtschaftung öffentlicher Schutzräume und deren Entwidmung aus der Zivilschutzbindung beauftragt. „Die Entwidmung ist bereits weit vorangeschritten“, erklärt ihr Pressesprecher Thorsten Grützner gegenüber der JF. „Der ursprünglichen Schutzraumkonzeption des Bundes lag die Ost-West-Konfrontation mit der Gefahr eines großflächigen Krieges mit Flächenbombardierungen und dem Einsatz chemischer und nuklearer Waffen zugrunde. Diese damalige Kriegsgefahr beinhaltete mehrere Eskalationsstufen, die mit der notwendigen Vorbereitungszeit der Schutzräume im Einklang standen. Eine solche Vorwarnzeit ist bei den heute anzunehmenden Bedrohungslagen nicht mehr gegeben.“

Die Behörde geht davon aus, daß bei einem derzeitig zu erwartenden Schadenszenario ohne Vorwarnzeit die vorhandenen Schutzräume, mit Ausnahme des Schutzes vor Trümmern, keine sofortige Zuflucht mehr bieten können. Und so werden, im Einvernehmen mit den Bundesländern, die öffentlichen Schutzräume des Bundes konsequenterweise seit 2007 sukzessive rückabgewickelt, heißt es.

„Die ursprünglich 2.000 öffentlichen Schutz-raum­anlagen standen überwiegend in Privateigentum sowie im Eigentum von Kommunen“, so Grützner. „Von diesen Anlagen wurden in den westlichen Bundesländern bislang rund 1.400 Anlagen rückabgewickelt. Die verbleibenden Anlagen sind nicht einsatzbereit.“ Dies aus dem einfachen Grund, weil die funktionale Erhaltung öffentlicher Schutzräume bereits im Jahr 2007 eingestellt wurde. Die im Ostteil Deutschlands bestehenden Schutzräume wurden übrigens nach der Wiedervereinigung gar nicht in das Schutzraumkonzept des Bundes übernommen. Sie unterlagen daher zu keinem Zeitpunkt der Zivilschutzbindung nach dem Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG). Grützner: „Im Ergebnis stehen in Deutschland keine öffentlichen Schutzräume mehr zur Verfügung.“

2019 hatte Deutschland noch 931 aktive Bunker zur Verfügung

Zum Vergleich: 2019 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP hin, daß es noch 931 öffentliche Schutzräume mit Zivilschutzbindung gebe. Also knapp 300 dieser Anlagen wurden allein in den letzten zwei Jahren aus der Bindung entlassen und unterliegen folglich keiner Nutzungsbeschränkung mehr. Interessant erscheint, daß mit den 120 Schutzbauten und deren Grundstücken, die die BImA 2018 betreute, 2,8 Millionen Euro durch Vermietung eingenommen wurden – also ein Vielfaches mehr als ausgegeben wurde. Dennoch verkaufte und verkauft man auch die letzten Schutzräume munter weiter.

Die baden-württembergische Landeshauptstadt ist hilfsbereiter. 2006 gründete sich dort der Verein Schutzbauten Stuttgart e.V. mit dem Ziel, Schutzbauten aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg zu erhalten „und Führungen durchzuführen, damit diese Geschichte nicht vergessen wird“, erklärt der Vereinsvorsitzende Rolf Zielfleisch gegenüber der JF. Ihn interessierten diese großen Bauten schon immer, doch niemand konnte ihm etwas dazu erzählen – also recherchierte er und fand so 2006 zu dem Verein. Dieser zählt 125 Mitglieder, „das sind 20 Prozent mehr als in den letzten zwei Jahren – während viele Vereine in den letzten Jahren ja Mitglieder verloren haben“.

„Ein ziviler Schutzbau bietet der Zivilbevölkerung in Anbetracht einer militärischen oder zivilen Katastrophe Schutz, zum Beispiel vor einem Atomkraftwerkunfall“, definiert er den Zweck der Anlagen. „Zu Zeiten des Kalten Krieges gab es 53 zivile Schutzbauten in Stuttgart“; von den noch übrigen betreue der Verein fünf. Diese sind exemplarische Beispiele für Hoch- und Tiefbunker und andere Bunkerarten. Der Verein kann jedoch „keine Bunker einsatzfähig halten, das ist finanziell gar nicht umsetzbar“. Da der Staat es nicht bezuschußt, können sie nur versuchen, die Anlagen vor dem Verfall zu bewahren.

Die klassischen Materialien, aus denen ein Bunker gebaut ist, sind Stahl und Beton. Da diese Baustoffe insbesondere im Krieg sehr knapp wurden, kam es zum Bau der ungewöhnlich erscheinenden Hochbunker. „Die wurden insbesondere seit 1940, also während des Zweiten Weltkriegs gebaut. Vorher baute man noch viele Tiefbunker, da die Hochbunker jedoch weniger Material benötigten, entschied man sich vermehrt für sie.“ Dies hänge mit der „Verdämmung“ zusammen – „bei den Hochbunkern kann der Druck zu allen Seiten entweichen, bei den Tiefbunkern wirken mehr Kräfte auf ihn, entsprechend bedarf es mehr Beton“, erläutert er. 

In dieser Hinsicht erwiesen sich die Stollenbunker als noch effizienter, wegen ihrer „natürlichen Überdeckung“ brauchten sie noch weniger Material. Während ein Hochbunker circa einen Meter dicke Betonwände benötigte, brauchte ein Stollen nur 40 Zentimeter. Auch an Stahl konnte erheblich gespart werden.

Durch den Stahlmangel wurden die Türen im Verlauf des Kriegs aber ohnehin immer dünner, bis zu dem Punkt, daß „Eichenholzlagen“ für die Türen genutzt wurden – diese boten jedoch kaum Schutz, „höchstens den Luftdruck konnte man damit abhalten“. Generell könne die Effizienz der Bunker aber nur in Hinsicht auf Materialeinsparung verglichen werden, folglich erwiesen sich die Stollenbunker als am effizientesten.

Die Hochbunker bargen weiterhin den Vorteil, daß sie sich in das Stadtbild einfügten – dies erklärt auch ihr Aussehen. Auf die Frage hin, ob sie sich im Angesicht der Bombardierungen durch ihre Unauffälligkeit bewährten, entgegnet Zielfleisch, „die Alliierten kannten die Positionen schon, griffen die Bunker aber nicht gezielt an“.

Die Bunker der beiden Epochen unterschieden sich vom inneren Aufbau deutlich, die aus dem Zweiten Weltkrieg beinhalteten „eigentlich nur Zellen, das können Sie sich wirklich wie im Gefängnis vorstellen – nur größere Räume“. Die Schutzräume aus dem Kalten Krieg hingegen bestanden meist aus großen Sälen. Statt der einfachen Bunker wurden Mehrzweckanlagen gebaut, so wurden Parkhäuser, U-Bahnschächte oder Tunnel so errichtet oder ergänzt, daß sie als Schutzraum dienen konnten. Diese sollten bis zu 14 Tage Schutz gewähren, während es im Zweiten Weltkrieg nur um den akuten Schutz vor Bomben ging – höchstens einige Stunden also. Der neuen Lage angepaßt, wurden sogar unterirdische  Krankenhäuser und medizinische Bunker gebaut.

Im Kalten Krieg konnte Stuttgart 78.000 Menschen Schutz bieten

Im Kalten Krieg konnte so 78.000 Menschen in Stuttgart Schutz geboten werden, zumindest theoretisch. Die Bunkeranlagen waren teils unbekannt, im Ernstfall hätten viele Bürger vermutlich gar nicht gewußt, wohin. Der Staat bezuschußte allerdings auch sogenannte private Schutzräume, jedoch „wurde es kaum in Anspruch genommen“, erinnert er sich.

Doch wie konnte eigentlich sichergestellt werden, daß die erlaubte Obergrenze an Menschen im Bunker eingehalten wird? „Die Bunker waren im Zweiten Weltkrieg eigentlich immer überbelegt“, grundsätzlich gab es aber Bunkerwachen, „die haben die Türen dann einfach geschlossen“, wenn es doch zu voll wurde. Im Kalten Krieg hingegen wäre streng aufgepaßt worden, daß nicht zu viele hineingehen, dafür gab es extra Dosierschleusen. In Anbetracht der Dauer, die man dort verbringen sollte, konnte man sich eine Überbelegung nicht leisten. Ob dies so gut funktioniert hätte wie geplant, kann man jedoch nur spekulieren, denn Probeübungen wurden nicht durchgeführt.

„Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Anlagen als Notunterkünfte für die Flüchtlinge und als Lagerräume weitergenutzt“, fährt der Vorsitzende fort. Daß Stuttgart, wie er erklärt, zu siebzig Prozent zerstört wurde, war offensichtlich einer der Gründe. Zu Beginn der sechziger Jahre wurden diese dann schließlich geräumt und einige umgerüstet, „viele wurden jedoch nicht umgerüstet, es mangelte immer an Geld“. Die Umrüstung bestand vor allem aus dem Verstärken von Wänden, statt 80 Zentimeter wurden sie beispielsweise auf 120 Zentimeter gebracht. Ausrüstung wie Gasmasken oder Schutzbekleidung wurden dem Inventar, den neuen möglichen Bedrohungen entsprechend, hinzugefügt. Nach dem Kalten Krieg wurden die Bunker nicht weiter aufgerüstet. „Heute wären die Bunker nicht mehr in der Lage, Schutz zu bieten“, erklärt er mit ernstem Ton.

 www.schutzbauten-stuttgart.de

Fotos: Entwidmeter Hochbunker in Stuttgart-Feuerbach von 1941/42: Der 30 Meter hohe „Pragbunker“, auch „Bosch-Turm“ genannt, bot noch im Kalten Krieg Schutz für 1.200 Personen. Heute befindet sich in dem Bauwerk eine Ausstellung über vorbeugenden Katastrophenschutz.; Blick in einen früheren Bunker der Stasi in Gosen bei Berlin (l.), Schutzraum-Ausstattung eines Bunkers in Stuttgart (M.), ehemaliger Reichsbahnbunker in Berlin-Mitte mit hinzugefügtem Penthouse: „Öffentliche Schutzräume gibt es nicht mehr“