© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Habermas – Zugangskontrolle für soziale Medien
Wüste Geräusche aus Echoräumen
(dg)

Selbst Bewunderer wie der Politologe Thomas Meyer (TU Dortmund) staunen mittlerweile über die Weltfremdheit des politischen Kommentators Jürgen Habermas. Nach etlichen, dem „als kritischen Zeitdiagnostiker unübertroffenen Philosophen“ huldigenden rhetorischen Kniefällen setzt Meyer im SPD-Theorieorgan Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte (1-2/2022), dessen Chefredakteur er bis 2021 war, zum Denkmalsturz an. In einem an eher versteckter Stelle publizierten Essay über den „neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit“ widmet sich der 92jährige Habermas dem Phänomen der „sozialen Medien“, die von seiner „großen emanzipatorischen Versprechung“, durch Teilhabe am „herrschaftsfreien Diskurs“ übe jedermann ein Stückchen demokratische Selbstbestimmung aus, kaum etwas übriggelassen hätten. Stattdessen dominierten dort „wüste Geräusche aus fragmentieren, um sich selbst kreisenden Echoräumen“. Das ließe sich nur ändern durch journalistische Torwächter, die die Inhalte anhand „allgemein anerkannter kognitiver Maßstäbe“ prüfen und auswählen. Solche „Zugangskontrolle durch den professionellen Journalismus“ bietet für Meyer „keine praktische Perspektive“. Denn einerseits stelle die hochgradige politisch-moralische Selektivität eines großen Teils des „‘amtierenden’“ Journalismus doch selbst ein „demokratisches Problem“ dar. Zudem sei sie einer der Gründe für die vornehmlich unter Jüngeren stattfindende „Auswanderung aus den offiziellen Massenmedien“. Andererseits habe Habermas wohl nicht darüber nachgedacht, wie eine solche Verlagerung journalistischer Vorzensur ins Netz denn technisch zu bewerkstelligen sei. 


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