© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

CD-Kritik: Stanisław Moniuszko „Halka“
Sozialkritik national
Jens Knorr

Für die Ausbildung eines Nationalbewußtseins waren, insbesondere in slawischen Ländern, Opern mit nationalen Sujets von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Doch ihre Beförderung in den Rang einer Nationaloper geriet ihnen und ihren Aufführungen oftmals nicht zum Besten. Als repräsentative Festopern verstellten sie den Blick auf, betäubten das Ohr gegen und stumpften die Empfindung ab für ihren wirklichen Inhalt. Unverdient!

Was also wäre die polnische Nationaloper „Halka“ ohne die Tänze, darunter der populäre Mazur, ohne die drei großen Arien der vieraktigen Fassung, uraufgeführt am 1. Januar 1858 im Warschauer Teatr Wielki? Dann wäre sie die unverpackte Sozialtragödie von dem verführten, geschwängerten und sitzengelassenen, in Wahnsinn und Tod getriebenen Bauernmädchen Halina: Halka.

Und eben die ist sie ja auch, die Erstlingsoper von Stanisław Moniuszko, komponiert zeitnah auf den galizischen Bauernaufstand von 1846. Sie konnte 1848 nur konzertant im Wohnzimmer des Hauses der Familie Müller in Wilna aufgeführt werden, szenisch erst 1854 im Wilnaer Theater. Die Urfassung von 1848 hat die Capella Cracoviensis unter ihrem künstlerischen Leiter Jan Tomasz Adamus auf historischen Instrumenten und mit einem stimmschlanken Chor- und Solistenensemble eingespielt. Ihr temperierter Zugriff auf das zwischen Nummernoper und Musikdrama changierende Stück läßt viel Mitleid für Halka spüren, jedoch wenig Zorn auf den Täter Janusz. In der polnischen Nationaloper wird nicht gezündelt.

Stanisław Moniuszko Halka deutsche harmonia mundi 2021  www.sonymusic.pl www.capellacracoviensis.pl