© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Siegen mit dem Geist von Kiew
Bilder, Videos, Memes: Im Internetkrieg machen die Ukrainer die weitaus bessere Figur
Peter Möller

Rußlands Präsident Wladimir Putin hat den Krieg um die Ukraine längst verloren. Zumindest, wenn es um den Kampf um die Deutungshoheit, um die Bilder dieses Krieges geht. Wie bei kaum einer militärischen Auseinandersetzung zuvor tobt der Kampf zwischen Rußland und der Ukraine auch in den Sozialen Netzwerken. Vor allem auf Plattformen wie Twitter und Tiktok, aber auch über Messengerdienste wie Whatsapp oder Telegram wird mit Tausenden Beiträgen, Fotos und vor allem Videos ein regelrechter Kommunikationskrieg um die Deutung des Konfliktes geführt.

Experten gehen davon aus, daß der Ukraine-Krieg der am besten dokumentierte militärische Konflikt der Geschichte werden könnte. Fast jeder Soldat und Zivilist dürfte in den umkämpften Gegenden mit einem Handy ausgerüstet sein. Viele der unzähligen Bilder und Videos finden in kürzester Zeit ihren Weg ins Internet. Teilweise in Echtzeit wird die ungefilterte Grausamkeit des Krieges in die Welt geschickt. Doch nicht immer geht es dabei um das reine Dokumentieren der Kampfhandlungen – jede Seite verfolgt ihre ganz eignen Interessen, der Übergang zur Propaganda ist fließend und für Unbeteiligte nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen.

Die russische Seite steht zudem vor einem Dilemma: Da sich das Land bislang nicht offiziell in einem Krieg mit der Ukraine sieht, sondern von einer begrenzten „militärischen Spezialoperation“ spricht, kann die russische Regierung – anders als die ukrainische – Bilder vom Kampfgeschehen und von militärischen Verlusten des Gegners nur sehr dosiert in Umlauf bringen, will sie der eigenen Darstellung nicht selbst widersprechen.

Auch aus diesem Grund hat die Ukraine bislang im Infokrieg die Nase vorn, auch wenn sie auf den Schlachtfeldern immer mehr unter Druck gerät. Das fängt schon bei den beiden Präsidenten an: Während Rußlands Staatsoberhaupt Putin auf den offiziellen Bildern des russischen Fernsehens zunehmend als etwas verdrießlich dreinblickender älterer Mann erscheint, der zudem noch an grotesk großen Tischen mit enormem Sicherheitsabstand zu seinen Gästen und Mitarbeitern sitzt, inszeniert die ukrainische Seite ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geschickt als volksnahen jugendlichen Freiheitskämpfer im Armee-T-Shirt, der dem Aggressor nicht weicht, sondern diesem in der Hauptstadt Kiew todesmutig die Stirn bietet. Daß sein filmreicher Ausspruch „Ich brauche keine Mitfahrgelegenheit, ich brauche Munition“, den er angeblich auf das Angebot der amerikanischen Regierung, ihn außer Landes zu bringen, geäußert hat, den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat, ist dabei wahrscheinlich kein Zufall. Die Grenze zwischen Heldengeschichte und kühl kalkulierter Inszenierung ist auch in diesem Konflikt fließend.

Ein gutes Beispiel dafür, wie Dichtung und Wahrheit eine fast unauflösliche Verbindung eingehen, sind die Berichte der ukrainischen Seite über den „Geist von Kiew“. Seit Beginn des Krieges kursieren in den sozialen Medien Bilder und Geschichten über einen unbekannten heldenhaften Piloten der ukrainischen Luftwaffe, dem es angeblich gelungen sei, der russischen Luftwaffe zu trotzen und bislang über Kiew bis zu zehn feindliche Maschinen abzuschießen.

Landwirte, die mit Traktoren erbeutete Panzer abschleppen

Kürzlich veröffentlichten die ukrainischen Streitkräfte sogar ein Bild des angeblichen Piloten, das dieser während des Flugs im Cockpit einer Mig-29 aufgenommen haben soll, versehen mit dem Text: „Hallo, russischer Schurke, ich fliege für deine Seele – der Geist von Kiew.“ Mit seinem Finger deutet der Pilot dabei auf die Raketen unter den Tragflächen seines Jets. Es gibt berechtigte Zweifel daran, ob dieser Jagdflieger, der bereits am ersten Kriegstag sechs russische Maschinen abgeschossen haben soll, tatsächlich existiert. Vielmehr scheint es sich um eine geschickt in Umlauf gebrachte Legende zu handeln, mit der die ukrainische Regierung den Widerstandswillen der Bevölkerung in der Hauptstadt stärken will. Manche der im Internet kursierenden Videos von angeblichen Luftschlachten des „Geists von Kiew“ wurden mittlerweile als Szenen aus einem Computerspiel entlarvt. Dennoch, wie so oft in einem Krieg, läßt sich derzeit weder die eine noch die andere Version verifizieren. Und das Wichtigste: Die Bilder und die Geschichte sind in der Welt.

Leichter läßt sich dagegen die Existenz einer anderen „Geheimwaffe“ der Ukraine im Kampf gegen die russische Invasionstruppe nachweisen: Immer wieder tauchten in den vergangenen Wochen in den sozialen Medien Aufnahmen auf, auf denen ukrainische Landwirte mit ihren Traktoren russisches Kriegsgerät abschleppen. Anders als beim „Geist von Kiew“ besteht an der Authentizität dieser Aufnahmen kaum ein Zweifel. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bauern die verlassenen beziehungsweise erbeuteten Panzer an den Haken genommen haben, um sie in den Dienst der ukrainischen Armee zu überstellen, oder aber weil sie einfach im Weg waren. So oder so machen die skurril anmutenden Formationen schnell Karriere: Mittlerweile tauchen immer mehr Bilder im Internet auf, auf denen Traktoren auch vor russischen Kampfjets, Weltraumraketen oder gar Kriegsschiffen montiert wurden. Die Botschaft dieser Memes: Die Ukrainer sind so furchtlos, daß sogar die Bauern es erfolgreich mit der russischen Armee aufnehmen. Die Traktoren werden so zum Symbol für den ukrainischen Widerstand gegen das russische Militär.

Mitten ins Herz der Öffentlichkeit zielt indes ein weiteres Video aus ukrainischen Quellen, das das Talent der für die PR der Ukraine verantwortlichen Akteure für starke Bilder zeigt. Zu sehen ist in diesem weltweit verbreiteten Film, wie sich eine angebliche Fahrzeugkontrolle im Kriegsgebiet als Heiratsantrag eines ukrainischen Soldaten an seine Freundin herausstellt. Auch hier ist die Botschaft klar: Anders als die russische Armee zeige die ukrainische Armee auch im Krieg ein menschliches Antlitz. Beim Fernsehsender RTL heißt es in dem Bericht zu dem Heiratsvideo denn auch: „Neben vielen schlimmen Szenen auch mal ein Video, das Hoffnung macht. Hoffnung für die Ukrainer, daß es auch nach dem Krieg eine Zukunft geben kann.“ Botschaft angekommen. Oder anders gesagt: Die Ukrainer verstehen im Kampf um die Bilder dieses Krieges ihr Handwerk.

Foto: Zwei Kämpfer der ukrainischen Landwehr, Lesja Iwaschtschenko und Valeryj Fylymonow, bei ihrer Kriegshochzeit an einem Kontrollpunkt in Kiew: Mit sympathischer PR die Herzen gewinnen