© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Zu schwaches Demokratiepotential der Perestroika
Autokratie war programmiert
(dg)

In einer Rede zur Lage der Nation beklagte Wladimir Putin 2005 den Zusammenbruch der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Daraus resultierte für den russischen Präsidenten eine Politik, die „Einheit und Sicherheit“ Vorrang vor als latent „staatsfeindlich“ denunzierten „gesellschaftlichen Emanzipierungsbestrebungen“ einräumte (Aus Politik und Zeitgeschichte, 1–2/2022). Geschichtspolitisch ging dieser autokratische Kurs bis heute mit einer Dämonisierung der 1985 von Michail Gorbatschow initiierten „Perestroika“ einher, die 1991 in der Auflösung der Sowjetunion mündete. Für die Osteuropa-Historikerin Corinna Kuhr-Korolev (Potsdam) wurden in dieser kurzen Schlußphase des kommunistischen Regimes jedoch Rußland prägende Weichenstellungen getroffen. Trotzdem behandeln selbst nichtrussische Historiker diese Zeit nicht als eigenständige Periode. Daher habe man nie das gesamte Spektrum gesellschaftlicher Bewegungen und deren demokratisches Potential erfaßt. Hierzu gebe es noch ein „Massiv“ an Quellen, das verraten könnte, ob die Intensität der politischen Mobilisierung der Bevölkerung nur ausreichte, um den Machtwechsel zu bewirken, nicht aber um den folgenden Rückfall in autoritäre Strukturen, den Aufstieg der Oligarchen und die Hochblüte der Korruption zu verhindern. 


 www.bpb.de