© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 12/22 / 18. März 2022

Von der Weißen Eule bis zum Rackelhahn
Qualitätszigarren müssen nicht aus Kuba stammen
Bernd Rademacher

Wenn der Connaisseur meditativ an seiner Zigarre zieht, die Glut aufglimmt, kringeln sich blaue Schwaden empor und erfüllen den Raum mit Aromen von Vanille und Sandelholz. Eine Zigarre erfordert Muße und Gemütlichkeit. Lederne Clubsessel und ein gereifter Whisky gehören untrennbar zum perfekten Setting. Mit Zigarre assoziiert man gewöhnlich exotische Gefilde wie Java, Sumatra oder die Dominikanische Republik. Wir denken an Bilder zahnloser, aber fröhlicher kubanischer Omas, die zur Musik von „Buena Vista Social Club“ Tabakblätter auf ihren Oberschenkeln zu „Havannas“ rollen.

Auch der Amateur kennt Marken wie „Montechristo“ und „Romeo y Julietta“ oder erinnert sich an Opas „Deutsche Jagd – Fehlfarben“ und die erste Nikotin-Übelkeit. Doch nur wenige wissen, daß Deutschland einmal eine florierende Zigarrenindustrie besaß. Städte wie Bremen, Dresden oder Hanau waren bereits im 17. Jahrhundert Zigarren-Zentren. Der Tabak wurde auf großen Plantagen vor den Stadtmauern angebaut. Allerdings war der Anbau bald unrentabel, da Virginia den Weltmarkt mit billigerem Tabak überschwemmte.

Trotz Enteignungen, Pleiten und Fusionen immer noch im Markt

Doch die Verarbeitung und Veredelung der braunen Blätter lief weiterhin auf Hochtouren. Zur Kaiserzeit boomten deutsche „Cigarren“ mit patriotischen Namen wie „Irmintrud“ oder „Siegeward“. Zudem lebten auch Kartonagen- und Kistenfabrikanten sowie Werbegrafiker und Drucker gut vom Geschäft mit dem Schmöken. In Ostwestfalen, vor allem in Bünde, Minden und Herford, entstand nach dem Niedergang der Leinenweberei eine Zigarrenindustrie, die einige Unternehmer zu vermögenden Tabak-Baronen machte. Ganze Familien lebten vom Zigarrenrollen in Heimarbeit auf dem Küchentisch. Doch auch heute noch werden in Deutschland Zigarren produziert, etwa bei Dannemann in Lübbecke am Mittellandkanal. Dannemann ist nicht nur eines der traditionsreichsten deutschen Tabakunternehmen, sondern auch Marktführer. Die Firmengeschichte begann 1872 mit der Auswanderung des 21jährigen Gerhard Dannemann nach Brasilien. Heute ist es fast ein Wunder, daß die Marke trotz Enteignungen, Pleiten und Fusionen immer noch besteht. Dannemann ist besonders für seine Zigarillos bekannt.

Zu den Dinos der deutschen Zigarrenmarken gehört die preiswerte Kult-Zigarre „Weiße Eule“ mit dem augenzwinkernden Uhu auf der Fünfer-Packung. Der prangte auch auf der Zigarrenfabrik Schaefer im schwäbischen Schnaitheim, die voriges Jahr abgerissen wurde. In dem zukünftigen Wohngebiet wird eine Straße „Weiße Eule“ heißen und an die Tradition erinnern. Jetzt wird die Eule, die früher in jeder Eckkneipe zu Bier und Skat qualmte, von der Schweizer Firma Villiger vertrieben.

Zum kühlen Pils paßt auch hervorragend die Brasil-Corona No. 116 „Altes Handwerk“ aus dem Hause August Schuster in Bünde bei Bielefeld. Schon beim Öffnen der Zedernholzkiste strömt einem ein wunderbar altmodischer Duft entgegen. Der Zugwiderstand ist genau richtig. Der schön gleichmäßige Abbrand bildet einen erstaunlich langen Aschekegel. Das Aroma nach frischem Holz und Zartbitter-Kakao hält für eine gute halbe Stunde an. Dieser Klassiker ist die Antithese zum Zeitgeist.

Vom deutschen Statussymbol zum umfassenden Werbeverbot

In Bünde legte auch Heinrich Woermann 1880 den Grundstein für seine heute noch bestehende Zigarrenmarke. Den Durchbruch schaffte er in der Wirtschaftswunderzeit mit einer industrialisierten Fertigung. Kenner schätzen Woermanns „Seefahrer“-Linie mit den Produkten „Kapitän Cook“, „Christopherus Columbus“ oder „Sir Francis Drake“. Doch nicht alle deutschen Zigarrenhersteller blicken auf Ursprünge zu Kaisers Zeiten zurück: Stefan Rinn gründete seine Zigarrenmanufaktur „Don Stefano“ 1993 in der Nähe von Gießen. Der Perfektionist strebt nach größtmöglicher Premium-Qualität. Bei Sondereditionen werden die Blätter aus der Karibik in Hessen sogar von Hand gerollt. Die Serie „Weidmannsheil“ in den Varianten „Platzhirsch“, „Rackelhahn“ und „Totverbeller“ legte der begeisterte Jäger Rinn anläßlich eines Firmenjubiläums auf.

1991 übernahm das Lübecker Familienunternehmen von Eicken das Tabakhaus Dingelstädt in Thüringen. Nach einer hohen Investition in moderne Fertigungstechniken, werden auch hier wieder hochwertige Zigarren und Zigarillos produziert, wie die sehr erfolgreiche „Candlelight“-Linie. Seit den Pioniertagen der deutschen Zigarrenproduktion wurde der Tabakgenuß vom Statussymbol zum Alltagsritual und schließlich zum mit Werbeverbot belegten Gesundheitsrisiko. Das Zigarrenpaffen hat sich allerdings sein Image als mondänes Luxusvergnügen konserviert – und damit zum Glück eine Nische für mittelständische Traditionsbetriebe erhalten.

 www.zigarren-verband.de

Foto: Zigarrenraucher: Eine Nische für mittelständische Traditionsbetriebe