© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Jeder gegen jeden als Erfolgsrezept
Landtagswahl II: Obwohl in mindestens drei verfeindete Lager gespalten, könnte der AfD im Saarland der Wiedereinzug gelingen
Werner Becker

Der Satz, die AfD könnte „einen Besenstil aufstellen, gewählt wird sie trotzdem“, trifft wohl nirgends besser zu als im Saarland. Sechs Prozent der Wähler würden der Partei der letzten Umfrage vor der Wahl zufolge ihre Stimme geben. Und dabei können die Wähler eigentlich gar nicht genau wissen, wen sie da wählen. 

6,2 Prozent bekam die AfD 2017 und zog mit drei Abgeordneten in den Saarbrücker Landtag ein. Fraktionschef wurde der mittlerweile 83jährige Josef Dörr, ein Politvagabund, der jahrzehntelang durch die Parteilandschaft wanderte und sich mit einem vom Bundesvorstand als „Family and Friends“  bezeichneten System an die Parteispitze hievte. Sein Stellvertreter Rudolf Müller machte in der Vergangenheit von sich reden, als bekannt wurde, daß er in seinem Antiquitätenladen in Saarbrücken auch NS-Devotionalien feilbot. Lutz Hecker, der Dritte im Bunde, der nach Einschätzung von Journalisten und sogar von politischen Gegnern seriös arbeitete, wurde von Dörr und Müller aus der Fraktion ausgeschlossen. 

Doch wer geglaubt hatte, mit Ablauf der Legislaturperiode würde sich die Lage beruhigen, irrte. Hecker, bis dato stellvertretender Landesvorsitzender und Wunschkandidat des neuen AfD-Landeschefs Christian Wirth, wollte nach der Spitzenkandidatur greifen, fand aber im Vorstand keine Mehrheit und schmiß frustriert hin. Stattdessen kandidierte Wirths Wahlkreismitarbeiter Kai Melling und gewann. 

Nur ein Spitzenkandidat ist überhaupt noch Parteimitglied

Dies paßte aber weder Josef Dörr noch einer innerparteilichen Oppositionstruppe um seinen Sohn Michel und den bisherigen zweiten stellvertretenden Landesvorsitzenden Christoph Schaufert. Die liegen sowohl mit Dörr senior als auch mit dessen Widersacher Wirth überkreuz. Ohne Wissen des Vorsitzenden wurden auf Betreiben von Schaufert und Dörr junior die für die Einrichung der Liste beim Landeswahlleiter zuständigen Vertrauenspersonen ausgetauscht und die Landesliste zurückgezogen. 

Die AfD kann somit lediglich in den drei Wahlkreisen antreten, was aber für die Mandatsverteilung unerheblich ist. Denn ohnehin werden nach dem dort geltenden Wahlrecht 41 der insgesamt 51 Landtagssitze anhand der Anzahl der in den drei Wahlkreisen abgegeben gültigen Stimmen aus den Kreiswahlvorschlägen besetzt. Die übrigen zehn Sitze werden aus den Landeslisten besetzt. Tritt eine Partei ohne gültigen Landeswahlvorschlag an, werden ihr die restlichen zustehenden Sitze ebenfalls über die Kreiswahlvorschläge zugeteilt.

Doch damit nicht genug. So steht an der Spitze des Kreiswahlvorschlags in Saarbrücken seit einer Neuwahl wenige Wochen vor der Landtagswahl – Kritiker sprechen von einem „Putsch“ – Dörr senior. Er ist in erster Instanz aus der Partei ausgeschlossen worden, weil er 2015 Mitglieder aus dem NPD-Umfeld für die AfD angeworben haben soll. Der Parteiausschluß ist jedoch noch nicht rechtskräftig. In Neunkirchen steht Christoph Schaufert auf Platz eins. Wegen des „Landeslisten-Putschs“ hatte ihm das zuständige Berliner Landesschiedsgericht auf Antrag des Bundesvorstands gemeinsam mit Dörr junior und einem weiteren Funktionär die Mitgliedsrechte entzogen; die Betroffenen legten dagegen Rechtsmittel beim Bundesschiedsgericht ein. Lediglich der Saarlouiser Spitzenkandidat Carsten Becker gehört derzeit rechtskräftig der AfD an. 

Wie diese drei Personen im Falle des Wiedereinzugs der AfD eine Fraktion bilden sollen, ist Beobachtern unklar. Doch Landeschef Wirth ist überzeugt, daß sie sich notgedrungen zusammenraufen werden: „Wenn man keine Fraktion ist, kann man nicht parlamentarisch arbeiten“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Der Bundestagsabgeordnete hofft, im April bei der anstehenden Neuwahl des Landesvorstands mit unverbrauchten jüngeren Leuten einen Neuanfang im zerstrittenen Verband hinzubekommen. Sollte Dörr senior gegen ihn antreten, wäre das eine „Alternative für die 100jährigen“. Den Wähler am kommenden Sonntag dürfte aber vielleicht selbst das nicht stören.