© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Ländersache: Sachsen-Anhalt
Otto fänd’ es gut
Christian Vollradt

Magdeburg, so berichten Regionalhistoriker, sei im Frühmittelalter einmal so etwas wie das Manhattan unserer Tage gewesen: eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Handelszentrum der Welt. Man tut Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt sicher nicht unrecht, wenn man feststellt, daß diese Zeiten längst vorbei sind, die Bedeutung der 200.000-Einwohner-Stadt im Laufe der Jahrhunderte nachgelassen hat. 

Zumindest hinsichtlich der wirtschaftlichen Relevanz könnte sich dieser Trend jedoch bald in einer nicht unwesentlichen Nuance umkehren. Denn vergangene Woche erhielt Magdeburg den Zuschlag für eine neue Chipfabrik des kalifornischen Herstellers Intel in Europa. 17 Milliarden Euro wolle man in den Bau zweier Halbleiter-Werke investieren, kündigte Konzernchef Pat Gelsinger an. Die Stadt an der Elbe sei „ein idealer Platz“, meinte der Amerikaner.

Gerade im Hinblick auf die sogenannte Halbleiterkrise („Chip-Mangel“), die coronabedingten Lieferketten-Unterbrechungen will der Mikroelektronikkonzern in den kommenden zehn Jahren bis zu 80 Milliarden Euro in der EU investieren, um dadurch unabhängiger von führenden Herstellernationen wie Taiwan oder Südkorea zu werden. 

Die Politiker im – laut einer einstigen Imagekampagne – „Land der Frühaufsteher“ jubeln natürlich. „Es wird die größte Investition in der Geschichte Sachsen-Anhalts“, freute sich Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). „Es wird ein Quantensprung für unser Land.“ Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigten sich erfreut über die Entscheidung. Die erste Produktionsstätte ihrer Art in der EU werde dazu beitragen, die globalen Siliziumkapazitäten wieder ins Gleichgewicht zu bringen, so Scholz. Für Habeck zeigt sich, daß Deutschland „attraktiv für Innovationen und Investitionen“ sei. Schätzungen zufolge dürfte Berlin fünf bis sieben Milliarden Euro an Subventionen beisteuern – eine Genehmigung Brüssels vorausgesetzt.

Insgesamt sollen 10.000 Arbeitsplätze entstehen, wenn die künftige Giga-Fabrik im Gewerbegebiet Eulenberg im Südwesten der Stadt loslegt. Für Intel ist der Standort auch deshalb günstig, weil über die angrenzende Autobahn 2 die relativ nahe gelegenen Autobauer Volkswagen im niedersächsischen Wolfsburg und Tesla im brandenburgischen Grünheide als potentielle Abnehmer der Chips gut erreichbar sind. 

Örtliche Landwirte sehen das Ganze auch mit einem weinenden Auge. Denn wenn die Fabrik tatsächlich am geplanten Standort entsteht, werden rund 450 Hektar bester Boden mit Beton versiegelt. Die Magdeburger Börde zählt zu den ertragreichsten Regionen in Deutschland. Da frage man sich schon, „wie ernst gemeint gewisse Aussagen zum Umweltschutz sind“, wunderte sich ein Bauer gegenüber dem MDR.

Der Produktionsstart der ersten Chips ist für 2027 geplant. Mit dem Bau des Werks will Intel im kommenden Jahr beginnen – und damit 1.050 Jahre nachdem die Gebeine Kaiser Ottos des Großen im Dom der Stadt zur ewigen Ruhe gebettet wurden.