© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Jeder kocht sein Süppchen
Krieg in der Ukraine: Zwischen Tschetschenen-Milizen, Wagnerianern und Asow-Truppen
Marc Zoellner

Diese Nachricht kam dem weißrussischen Regime am Sonntag einer Heilsbotschaft gleich: „Uns wurde der Vorschlag unterbreitet, unsere Zahlungsverpflichtungen auf einen praktischeren, für unsere beiden Länder akzeptierbaren Zeitpunkt zu stunden, nämlich in fünf oder sechs Jahren“, verkündete  Weißrußlands Finanzminister Juri Seliwerstow im staatlichen Fernsehsender Belarus 1. Für Minsk bedeute die Erleichterung, „daß wir keine Reserven angreifen müssen, um unsere Schulden an unsere Partner in Rußland zurückzuzahlen“.

Für Minsk, dessen eigene wirtschaftliche Entwicklung evident von der Kreditvergabe aus staatlicher russischer Hand sowie russischer Großkonzerne abhängt, kam die Offerte Moskaus zur Stundung gerade zum rechten Zeitpunkt. Immerhin hatte Rußland seinen Nachbarn allein seit 2005 Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IMF) zufolge mit über 100 Milliarden US-Dollar subventioniert. Die Verschuldung Minsks bei Moskau in Höhe von gut acht Milliarden US-Dollar mag gering anmuten; sie machen aber dreizehn Prozent des weißrussischen Bruttoinlandsprodukts aus. Schon im Sommer wären die nächsten Zahlungsraten fällig, welche das international isolierte Weißrußland kaum hätte stemmen können.

Minsk spielt eine eher undurchsichtige Rolle

Die massive Verschuldung Minsks in Moskau dürfte für den langjährigen weißrussischen Alleinherrscher Alexander Lukaschenko ein ebenso guter Grund zur Einwilligung gewesen sein, sein Land als Aufmarschgebiet der russischen Armee beim Angriffskrieg gegen die Ukraine zur Verfügung zu stellen, wie die politische Abhängigkeit des Minsker Regimes vom Gutdünken des Kreml: Daß Weißrußlands Militär jedoch aktiv in die Kampfhandlungen seiner beiden Nachbarstaaten eingreift, bezweifeln allerdings – trotz des jüngst erfolgten Abzugs des Minsker Botschafters aus Kiew – auch westliche Beobachter des Konflikts. 

Denn seine Soldaten benötigt Lukaschenko im eigenen Land zur Absicherung seiner Macht gegen eine breit aufgestellte und rege tätige bürgerliche Opposition. Diese hatte zuletzt Sabotageakte ganzer Schienenstränge in die Ukraine vermeldet, um den russischen Vormarsch durch Weißrußland auszubremsen.

Gleichwohl ist die Ukraine seit dem Kriegsausbruch am 24. Februar nicht mehr nur Schlachtfeld regulärer russischer und ukrainischer Truppenverbände: Bereits einen Tag nach Kriegsbeginn hatte Tschetscheniens Alleinherrscher Ramsan Kadyrow mehr als zehntausend Angehörige seiner semiprivaten Sicherheitsgruppe, der sogenannten „Kadyrowzy“, in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny aufmarschieren lassen, um Moskau seine Loyalität zu versichern. 

„Ich erkläre hiermit offiziell, daß sich die tschetschenischen Kämpfer in die schlimmsten Brandherde begeben werden“, versprach Kadyrow Ende Februar im tschetschenischen Staatsfernsehen. „Wir werden jegliche Entscheidung unseres Oberbefehlshabers Wladimir Putin unterstützen und jeden Befehl befolgen.“ 

In Tschetschenien, welches zwischen 1994 und 2009 selbst zwei blutige Kriege Rußlands mit insgesamt mehr als 200.000 zivilen Opfern erleiden mußte, werden den Milizionären der Kadyrowzy, die allein der Weisung Kadyrows unterstehen, schwerste Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Folter, Vergewaltigung und Mord vorgeworfen. Wie im Fall Lukaschenkos ist auch der Verbleib Kadyrows im Amt maßgeblich vom Wohlwollen des russischen Präsidenten abhängig. Denn das Gros der Tschetschenen, versichert zumindest die Opposition, stünde noch immer gegen ihren Gewaltherrscher, für ihre Unabhängigkeit – und im jüngsten Konflikt solidarisch auf Seiten der Ukrainer.

Im hart umkämpften Osten der Ukraine könnten Kadyrows Anhänger tatsächlich auf alte Bekannte treffen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Zwar wurde die tschetschenische Freiwilligenbataillon „Dschochar Dudajew“, benannt nach dem ersten Präsidenten Tschetscheniens, die seit 2014 im Donbas gegen prorussische Separatisten im Einsatz war, bereits 2019 offiziell wieder aufgelöst.

Ende Februar dieses Jahres meldete sich das Bataillon allerdings wieder auf der Bildfläche zurück. „Es ist prinzipiell undenkbar, daß Tschetschenen, welche mehrfach einem Genozid durch Rußland ausgesetzt waren, heute auf der Seite Rußlands kämpfen“, warb Bataillonskommandeur Adam Osmayew Ende Februar in einem Video um Überläufer aus den Kadyrowzymilizen. „Ich möchte den Ukrainern versichern, daß echte Tschetschenen die Ukraine verteidigen. So Gott will, werden wir unseren Sieg in Moskau, in Tschetschenien, auf der Krim und in Sewastopol feiern.“

„Die russische Ankündigung, daß tschetschenische Truppen dem Krieg beitreten, war dazu gedacht, die ukrainische Bevölkerung mit Angst zu erfüllen“, analysierte Aurélie Campana, Politikprofessorin der kanadischen Universität Laval, unlängst in einem Gastbeitrag auf dem australischen Politikblog The Conversation. „Ebenso wie die Gerüchte, daß ihre Spezialeinheiten mit dem Auftrag ausgestattet wurden, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu ermorden.“ 

Das Haupteinsatzgebiet tschetschenischer Milizionäre wird derzeit um die belagerte Stadt Mariupol vermutet, wo ebenfalls das aus Ukrainern bestehende „Regiment Asow“ aktiv ist. Nicht unbegründet wirft die russische Regierung dieser Miliz neben Kriegsverbrechen im Donbas und Mariupol auch neonazistische Tendenzen vor. Immer wieder gehen in sozialen Medien Bilder von Asow-Anhängern mit Hakenkreuzflaggen und SS-Runen viral. Einer ihrer Kommandeure, Denis Alexandrovich Dunikow, soll diesen Montag durch einen russischen Luftangriff nahe Mariupol getötet worden sein.

Moskaus Hyperschallraketen verschrecken den Westen 

Angesichts seiner Truppenstärke von weniger als 2.000 Milizionären sprechen Experten dem Regiment Asow nur bedingte militärische Relevanz in diesem Krieg zu. Rechtsextreme Paramilitärs sollen Berichten zufolge überdies auch auf russischer Seite im Ukraine-Krieg aktiv sein; namentlich die „Gruppe Wagner“, deren Gründer Dmitri Utkin, für seine Einsätze im Donbas von Wladimir Putin 2016 mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet, im russischen Facebook-Pendant „vk.com“ unlängst mit SS-Tätowierungen auftrat. Gleichwohl dürfte Rußland auch dieser Freiwilligenverband lediglich als „psychologische Waffe“ dienen, als Pendant zur ukrainischen „Internationalen Legion“. 

Für den Kriegsverlauf weit bedeutsamer könnten sich indes Moskaus neue Hyperschallraketen erweisen, die am vergangenen Wochenende erstmals zum Einsatz kamen und in der Folge die Europäische Union zur Ankündigung verleiteten, ihre Finanzhilfe an die Ukraine zur Beschaffung neuer Waffensysteme auf eine Milliarde Euro zu erhöhen.

In seine entscheidende Phase wird der Ukraine-Krieg auch in den kommenden Tagen nicht eintreten: Auch hier zeigen sich die meisten Konfliktanalysten einig und befürchten eine Pattsituation beider Kriegsparteien, die sich über Wochen oder gar Monate hinziehen könnte. Ungebremst wächst die Zahl der Kriegsflüchtlinge indes weiter an; der UNHCR verzeichnete allein bis zum vergangenen Wochenende rund 3,5 Millionen geflohene Ukrainer. Über zwei Millionen von diesen hatte Polen aufgenommen. Doch auch in Rußland fand den Vereinten Nationen zufolge fast eine Viertelmillion Ukrainer Zuflucht und Unterkunft. 

Foto: Tschetscheniens Alleinherrscher Ramsan Kadyrow Ende Februar in Grosny: Putin in allen Belangen unterstützen