© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Grüße aus … Wien
Die „Pummerin“ läßt grüßen
Robert Willacker

Rund 16.000 Einwohner beherbergt die „Innere Stadt“, wie der historische Kern Wiens genannt wird und der bis zu den ersten Eingemeindungen des Umlands im Jahr 1850 das eigentliche Stadtgebiet bildete. Das Zentrum, sozusagen den Kern des Kerns, repräsentiert der auch weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Stephansdom, der inmitten des gleichnamigen Platzes steht und mit seinen 22 Glocken über eines der größten Geläuteensembles der Welt verfügt. 

Jene Glocken, darunter die „Pummerin“, die größte und schwerste Glocke des Landes, die nur zu besonderen Anlässen geläutet wird, sorgten vergangene Woche für enorme Aufregung unter den Bewohnern der Inneren Stadt.

Nicht wenige der eingangs erwähnten 16.000 – darunter auch der Verfasser dieser Zeilen – staunten nicht schlecht, als in der Nacht auf Mittwoch um 02.11 Uhr plötzlich das volle Glockenspiel des Stephansdoms ertönte und der allgemeinen Nachtruhe ein jähes Ende bereitete. Rund 20 Minuten hielt das eher geräusch- als klangvolle Schauspiel an, bevor die Glocken jäh verstummten und die Nachbarschaft rat- und schlaflos zurückließ. 

Nur eines hat der Hacker leider nachhaltig zerstört: die romantische Vorstellung der Wiener.

Auf Twitter herrschte da freilich schon muntere Betriebsamkeit, und die teils abenteuerlich anmutende Theoriebildung über das gerade Erlebte lief auf Hochtouren. Die geäußerten Vermutungen erstreckten sich dabei von einem Alarmgeläut im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg bis hin zum möglichen Tod des Papstes. Klarheit über das Geschehene brachte jedoch erst der folgende Tag, als Dompfarrer Toni Faber gegenüber Medien zunächst bekanntgab, es habe sich bei dem – man kann es nicht anders nennen – Glockenlärm um einen technischen Defekt gehandelt. 

Die Geschichte könnte hier enden, wenn sich nicht wiederum einen Tag später herausgestellt hätte, daß die hochtechnologisierte Glockenanlage des Doms mitnichten eine Fehlfunktion erlitten, sondern vielmehr Opfer eines hinterhältigen Hackerangriffs geworden war. 

Ein Unberechtigter hatte sich in der Nacht Zugriff auf die für Fernwartungszwecke bestehende Internetverbindung des Glockensystems verschafft und das nächtliche Klangchaos ausgelöst. Erst durch das Einschreiten des eilig herbeigeeilten Pfarrers konnte dem Spuk vor Ort am Steuerungs-Tablet ein Ende bereitet werden.

Rechnet man den entgangenen Schlaf und den plötzlichen Schrecken der Nachbarschaft weg, ist insgesamt kein Schaden am Dom oder dem Glockenensemble entstanden. Nur eines hat der Hacker leider nachhaltig zerstört: die romantische Vorstellung davon, daß der Dompfarrer Faber die Glocken des Stephansdoms noch von Hand läuten würde.