© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Krisenzeiten lassen Defizite verblassen
Frankreich: Trotz einer eher durchwachsenen Bilanz sieht sich Präsident Emmanuel Macron auf der Siegerstraße
Friedrich-Thorsten Müller

Er ließ sich lange Zeit damit, seine Kandidatur zu erklären, obwohl eigentlich nie Zweifel daran bestanden, daß er noch einmal antreten würde. Emmanuel Macron, Frankreichs amtierender Präsident, entschied sich für einen „Brief an die Franzosen“, um seinen Hut fünf Wochen vor dem ersten Wahlgang am 10. April erneut in den Ring zu werfen. In dem Schreiben, das er über die Tagespresse veröffentlichen ließ, zog er eine positive Bilanz und skizzierte in groben Zügen seine Pläne für eine zweite Amtszeit.

 Er wolle sich an die Spitze derer stellen, die „gegen die Bedrohungen unserer Demokratie, wie zunehmende Ungleichheit, Klima- und demographischer Wandel und technologische Umbrüche“ kämpfen. Frankreich solle unter seiner Regie durch Chancengleichheit eine „Meritokratie“ werden. Außerdem müsse das Land führend werden bei erneuerbaren Energien, im Digitalen sowie in der Nuklear- und Batterietechnik. 

Als „ökologische Nation“ solle es Frankreich als erstes gelingen, die Abhängigkeit von Erdgas, Öl und Kohle zu beenden. Kaum Erwähnung fanden bei dem selbsternannten Kandidaten der Mitte dagegen konservative Anliegen: Innere Sicherheit, den Kampf gegen Terrorismus, Identitäts- und Migrationsfragen – all das scheint nach zwei Jahren Corona und unter dem Eindruck des größten kriegerischen Konflikts in Europa seit 77 Jahren weit weg zu sein. Es gehe darum, „das Frankreich unserer Kinder aufzubauen und nicht das von gestern wiederzuerwecken“. Das ist nur ein kleiner Fingerzeig in Richtung der rechten Mitbewerber, wie Marine Le Pen und Eric Zemmour, die er in seiner Bewerbung sonst nicht einmal erwähnte.

Tatsächlich spielt die dramatische Veränderung der politischen Großwetterlage dem Platzhirsch Emmanuel Macron in die Karten. Wenn die Kanonen donnern, profitiert bei Wahlen meist die amtierende Regierung. Die Doppelkandidatur zweier starker, sich teilweise kannibalisierender Rechtsaußen-Kandidaten tut ein Übriges. 

Aktuelle Umfragen sehen Macron im ersten Wahlgang inzwischen meist mit etwa 30 Prozent der Stimmen weit in Führung, während Marine Le Pen vom Rassemblement National bei etwa 18 Prozent gesehen wird. Der ehemalige Fernsehjournalist Zemmour ist aktuell auf 10 bis 12 Prozent abgefallen und ringt mit der Republikanerin Valérie Pécresse und dem Linksaußen Jean-Luc Mélenchon um Platz drei im ersten Wahlgang. Vor Kriegsausbruch stand der amtierende Präsident meist nur bei 25 Prozent. Im letzen Jahr war Marine Le Pen sogar mit ebenfalls etwa 25 Prozent mehrfach auf Augenhöhe mit ihm.

Auch in sämtlichen Stichwahl-Szenarien würde der amtierende Präsident aktuell deutlich gewinnen. Denn unterm Strich kann man sagen, daß die zwei großen, externen Faktoren Corona und Ukraine-Krieg, für die er in den Augen der Franzosen nichts kann, alle Mißerfolge seiner Amtszeit verblassen lassen. Dies alles sehr zum Ärger seiner elf Herausforderer, die ihn gerne in einem TV-Duell stellen würden, was er aber mit dem Duktus des Amtsinhabers verweigert.

Dabei hat seine Fünf-Jahres-Bilanz durchaus Positives vorzuweisen. Beim seit Jahren zentralen Thema der Franzosen, der Kaufkraft, kann er trotz Pandemie in seiner Amtszeit dank diverser Steuererleichterungen mit einem jährlichen durchschnittlichen Anstieg von 0,9 Prozent punkten. Seine Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande erreichten nur 0,2 bzw. 0,1 Prozent. 

Daß dafür aber allein im Jahr 2020 die Staatsverschuldung um 17,5 Punkte auf 115 Prozent vom BIP anstieg, was deutlich über dem Durchschnittswert der Eurozone von 13,7 Punkten lag und weit über den zulässigen drei Prozent, wirkt im Pandemiemodus wie eine läßliche Sünde. Insgesamt stieg die Staatsverschuldung Frankreichs seit Macrons Amtsantritt um 600 Milliarden Euro. Anders wäre es Macron aber auch nicht gelungen, in der Krise die Arbeitslosigkeit von 9,5 auf 7,4 Prozent abzusenken.

Auch beim Thema innere Sicherheit und islamistischer Terrorismus steht Macron mit nur einigen „kleineren Anschlägen“, von denen der auf den Weihnachtsmarkt von Straßburg mit fünf Toten der schwerste war, besser da als sein Vorgänger Hollande. 

Als selbsternannter Klimapräsident ist Macron krachend gescheitert

Zwar stellte Macron in seiner ersten Legislatur 10.000 zusätzliche Polizisten ein und erhöhte die Zahl der Gefängnisplätze um mindestens 2.000. Aber auch hier profitierte Macron von externen Faktoren, wie dem Scheitern des Islamischen Staats in Syrien und der Lockdown-Politik in Frankreich, die das öffentliche Leben zum Erliegen brachte.

Eher ernüchternd ist dagegen die bisherige Bilanz Macrons als „Klimapräsident“, der seine Amtszeit mit dem Slogan „Make Our Planet Great Again“ begann. Zwar steht Frankreich dank Atomkraft mit einem CO2-Pro-Kopf-Ausstoß von 4,6 Tonnen pro Jahr (Statista/IEA 2019) bei vorbildlichen 53 Prozent des deutschen Wertes. Aber der Ausbau von Wind- und Sonnenstrom, die nach einem Gesetz von 2015 auf 50 Prozent der Stromversorgung ausgebaut werden sollen, stockt. Die Gelbwestenproteste haben hier den Umstieg auf teure Elektroautos bisher weitgehend ausgebremst. Außerdem konnte bis heute kein einziger der geplanten großen schwimmenden Windparks in Atlantik und Mittelmeer in Betrieb genommen werden. Immerhin kündigt Macron nun aber für seine zweite Amtszeit 50 solcher Windparks sowie eine Verzehnfachung der Solarstrom-Kapazität an. 

Auch die außenpolitische Bilanz ist eher durchwachsen: Zwar bleibt Neukaledonien auch nach dem dritten Referendum im vergangenen Dezember französisch, aber beim neuen austro-anglo-amerikanischen Verteidigungbündnis in der Pazifikregion bleibt Frankreich außen vor. Auch ein großer Rüstungsdeal mit Australien platzte in dem Zusammenhang. Der Militäreinsatz in Mali ist gescheitert. Das „Normandie-Format“ konnte darüber hinaus den Krieg in der Ukraine nicht verhindern. 

Foto. Emmanuel Macron umringt von Parteifreunden: Der alte und neue Präsident Frankreichs?