© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Keine Lust auf alte Kader
Niederlande: Etablierte lassen bei der Kommunalwahl heftig Federn
Mina Buts

Ein Marathon war die Kommunalwahl in den Niederlanden allenfalls für die Wahllokale: An drei aufeinanderfolgenden Tagen waren sie jeweils dreizehneinhalb Stunden geöffnet. Jedem, so die Argumentation der Regierung, sollte die Möglichkeit gegeben werden, seine Stimme abzugeben. Denn nur so könne das im vergangenen Jahr verspielte Vertrauen wieder zurückgewonnen werden, so das Credo. Erst waren in der „Kinderzuschlagsaffäre“ zigtausend Familien in den finanziellen Ruin getrieben worden. Es dauerte nach den Wahlen im März 2021, bei der 19 Parteien ins Parlament eingezogen waren, fast ein Jahr, die Regierungsbildung abzuschließen, damit  doch wieder der liberale Mark Rutte Ministerpräsident wurde.

Pim Fortuyns „Lebenswert“-Partei startet in Rotterdam durch

Die Quittung folgte jetzt: Nur jeder zweite Niederländer bequemte sich überhaupt ins Wahllokal, gewählt wurden weit überwiegend regionale und alternative Parteien. Die mehr als 1.000 lokalen Listen und Parteien zeugen von einer weitgehenden Zersplitterung des Parteienwesens. Regierbarkeit herzustellen wird immer schwieriger. Verlierer in dieser Situation sind die „Altparteien“, die nicht mal mehr als Debattierclubs taugen und denen erst recht keine Lösungsansätze für die Probleme von heute zugetraut werden. Die Liberalen der VVD bekamen gerade noch 11,5 Prozent aller Stimmen, die Sozialdemokraten der SP nur noch 2,7 Prozent.  

Es ist lächerlich, wenn sich ausgerechnet der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb (Partij van de Arbeid, PvdA) über die niedrige Wahlbeteiligung echauffiert. Denn genau seine Politik ist es, die für Verdrossenheit sorgt. Schon bei den letzten Kommunalwahlen war „Leefbaar Rotterdam“ (Lebenswertes Rotterdam) stärkste Partei geworden, und nur durch ein Bündnis von sieben Parteien gelang es ihm, den Wahlsieger außen vor zu lassen. Dieses Manöver hätte er zu gerne wiederholt, doch „Leefbaar Rotterdam“ konnte seinen Stimmenanteil weiter steigern. Ein Stadtrat ohne seine Beteiligung ist nun schlichtweg nicht mehr vorstellbar.

„Leefbaar Rotterdam“ stand schon vor zwanzig Jahren für eine kritische Haltung zum Islam. Der damalige Spitzenkandidat Pim Fortuyn erklärte, er fühle sich wegen seines Bekenntnisses zur Homosexualität vom politischen Islam bedroht, kurz danach wurde er auf offener Straße ermordet. Immer noch setzt sich die Partei gegen rituelles Schächten und für eine Zurückdrängung des Islam ein. Die pessimistische Prognose des Parteigründers Ronald Sörensen, egal, wie gemäßigt sie aufträten, die Etablierten würden sie immer „raushalten“, dürfte allerdings überholt sein. 

Auch Femke Halsema, die grüne Bürgermeisterin von Amsterdam, beschwerte sich über die geringe Wahlbeteiligung. Dabei hatte auch sie mit ihren Doppelstandards für Politikverdrossenheit gesorgt. Tausende „Black Lives Matter“-Demonstranten während des Lockdowns waren kein Problem, während maßnahmenkritische Spaziergänger mit Verboten überzogen wurden. In Amsterdam konnte Annabel Nanninga mit ihrer Liste „JA21“ (Richtige Antwort 21), eine Abspaltung von Thierry Baudets Forum für Demokratie, ihre zwei Sitze verteidigen.

Rechte Parteien konnten sich dort, wo sie angetreten sind, über massive Stimmengewinne freuen. Der BauernBürgerBund wird künftig in 19 Gemeinden vertreten sein und konnte die Zahl seiner Mandatsträger von 27 auf 61 steigern. Seine Mitbegründerin, die Journalistin Caroline van der Plas (54), hatte aus Enttäuschung über die Agrarpolitik die christdemokratische CDA verlassen – die Zustimmung zur CDA hat sich innerhalb eines Jahres von 13 auf 6 Prozent mehr als halbiert. In Den Haag ist die Gruppe „Hart voor den Haag“ (Ein Herz für Den Haag) um den aus der PVV stammenden Richard de Mos mit 16 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden.

Und das Forum für Demokratie von Baudet? Dessen anhaltende Zustimmung zu Putin, „einem Prachtkerl“, wie er meint, hat dafür gesorgt, daß die Partei trotz leichter Stimmengewinne nicht so viele Kommunalmandate wie erhofft errang.