© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Grüner Anschlag
Energiesicherheit: Gericht stoppt Braunkohleförderung / Wirtschaftsminister Habeck hält Kraftwerke als Notfall-Reserve für unverzichtbar
Marc Schmidt

Einige Monate war es still geworden um den Abmahnverein Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die diversen „Klimaschutz-Klagen“ in zehn Bundesländern sind noch nicht entschieden (JF 29/21). Die Corona-Pandemie senkte das Verkehrsaufkommen, so daß das Geschäftsmodell der Feinstaubklagen gegen deutsche Städte entfiel. Medial bedeutendere Aktionen veranstalteten andere Verkehrsbehinderer wie Greenpeace, „Ende Gelände“ oder die klebefreudige „Letzte Generation“.

Juristischer Winkelzug gegen Fehler von Behörden und Unternehmen

Doch nun hat sich die DUH mit einem juristischen Erfolg brachial zurückgemeldet, der massive negative Auswirkungen auf die deutsche Energieversorgung haben kann: Das Braunkohlkraftwerk Jänschwalde ist mit einer Leistung von 3.000 Megawatt (MW) – nach Neurath (4.400 MW) und Niederaußem (3.300 MW) im Rheinland – das derzeit drittgrößte Kraftwerk Deutschlands. Doch die DUH hat vor dem Verwaltungsgericht Cottbus erfolgreich gegen das brandenburgische Landesamt für Bergbau und damit faktisch gegen die Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) geklagt. Der regionale Stromkonzern hat dem noch nicht rechtskräftigen Urteil zufolge für Bergbau und Kraftwerksbetrieb mehr Grundwasser entnommen als zulässig sei.

Hintergrund des DUH-Erfolgs ist wieder einmal ein juristischer Winkelzug gegen handwerkliche Fehler von Behörden und Unternehmen beim Anlagenbetrieb. Ursprünglich war die Beendigung des Braunkohlebergbaus am Niederlausitzer Standort Jänschwalde für 2019 vorgesehen, weshalb die wasserrechtliche Erlaubnis für die Folgejahre abnehmende Entnahmemengen vorsah. Doch auch in den Vorjahren hatten die Potsdamer Landesregierung und die nachgeordneten Behörden es bereits zugelassen, daß die Leag mehr Grundwasser abpumpte, als die ursprüngliche Erlaubnis aus dem Jahr 1996 vorsah. Behörden und Betreiber begründeten dies mit der Erfordernis, den Wasserspiegel stärker als geplant zu senken, um den weiteren Braunkohleabbau zu ermöglichen.

Neben der geduldeten höheren Entnahme führte die Verlängerung des Braunkohlebergbaus im Kohlekompromiß von Bund und Ländern zu einer genehmigten Verlängerung des Hauptbetriebsplans, aber nicht zu einer Änderung der ursprünglich befristeten, regelmäßig in der Menge überschrittenen wasserrechtlichen Erlaubnis. Diesen Fehler nutzten die DUH-Anwälte für ihren Rechtsweg, der bei Bestand des Urteils ein Ende des Bergbaus am 15. Mai 2022 zur Folge hätte. Für das kommende Jahr hatte die Leag bereits einen neuen Hauptbetriebsplan für den Bergbau, verbunden mit einer neuen, umfangreicheren wasserrechtlichen Erlaubnis beantragt.

Hat das irrwitzige Urteil Bestand, würden die Arbeiten im Bergbau zumindest zeitweise eingestellt werden, nicht jedoch das Abpumpen des Grundwassers insgesamt. Auch in Zukunft ist die Leag verpflichtet, ein Vollaufen der Gruben mit nachlaufendem Grundwasser im Interesse der Umwelt zu vermeiden. Ob bei Bestand des Urteils der Betrieb spätestens 2023 auf Basis der aktuellen Anträge wieder aufgenommen werden könnte, ist derzeit unklar. Ein vollständiger Neustart des Verfahrens mit neuen Antragsunterlagen würde eine Verzögerung von bis zu fünf Jahren bedeuten – mit erheblichen Auswirkungen auf die Stromproduktion.

Derzeit wird die windarme Region vor allem durch das mit örtlicher Braunkohle betriebene Kraftwerk Jänschwalde versorgt, welches auch für den Erhalt der Netzspannung auf der mittleren Ebene als kaum verzichtbar gilt. Hinzu kommt ein umfangreiches, durch das Kraftwerk gespeistes Fernwärmenetz für Firmen und Haushalte in der Region. Ein Einkauf der Braunkohle in Polen wäre ebenso unrentabel wie eine teure Umrüstung auf Importsteinkohle. Ein Wegfall dieser Kraftwerkskapazität (entspricht dem Doppelten des AKW Isar 2/1.485 MW) würde regional zu einem Anstieg der Stromtarife führen. Zudem wären die Stillegungsverfahren für Kohlekraftwerke und die Auszahlungen der damit verbundenen Prämien an die ehemaligen Betreiber möglicherweise ungültig. Andere Kohlekraftwerke müßten reaktiviert werden.

Das braune und schwarze Gold muß Atom- und Gasstrom ersetzen 

Und wo sollen Fernwärme und Warmwasser für Tausende Wohnungen in der Region herkommen? Ein Ende der Braunkohleförderung käme auch unter anderen Gesichtspunkten zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Vor Ausbruch des Ukraine-Krieges importierte Deutschland knapp die Hälfte der benötigten 40 Millionen Tonnen Steinkohle aus Rußland. Und das schwarze Gold ist auch für verschiedene Prozesse der Grundstoffindustrie notwendig. Der Einsatz von noch mehr Erdgas zur Stromerzeugung scheidet ebenfalls aus: Der teure und knappe Energierohstoff wird für Industrie und Bürger (19,6 der 40,6 Millionen Haushalte heizen mit Gas) dringender gebraucht.

2021 lieferte die heimische Braunkohle stabile  20,2 Prozent des deutschen Stroms – die damals noch sechs AKWs kamen auf 13,3 Prozent, importierte Steinkohle auf 9,5 Prozent. Windkraft (23 Prozent) und Photovoltaik (9,9 Prozent) kamen zusammen zwar auf ein Drittel – aber nur, weil Gaskraftwerke und das Ausland als „Backup“ für Dunkelflauten in Bereitschaft standen. Ein Ausfall der Kapazitäten in der Lausitz würde die Import-abhängigkeit Deutschlands bei Energierohstoffen erhöhen und die Strompreise weiter erhöhen. Jänschwalde ist ein Grundlastkraftwerk, es liefert Strom für die Schwerindustrie und Haushaltsgeräte wie Kühlschränke oder Internetrouter.

Darüber hinaus sichern solche Kraftwerke regionale Verteilnetze auf den beiden unteren Spannungsebenen gegen Schwankungen der Netzfrequenz ab – und mehr Wind- und Solarstrom erhöht die Volatilität der Versorgung. Der Ukraine-Krieg hat die Pläne der Ampelkoalition, diese Aufgaben durch „CO2-ärmere“ Gaskraftwerke wahrnehmen zu lassen, torpediert: Teures Flüssigerdgas (LNG) aus Amerika oder von den arabischen Ländern, das mit hohem Energieaufwand verdichtet wird und auf Megaschiffen transportiert werden muß, kann das „Putin-Gas“ mengenmäßig nie ersetzen.

Selbst der vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck angedachte und von seiner Partei massiv kritisierte Verzicht auf die Abschaltung der letzten drei deutschen AKW wäre nicht geeignet, einen in den kommenden Jahren weiter steigenden Einsatz von Kohle zur Stromversorgung zu vermeiden (JF 12/22). Dieser Aspekt verschafft dem juristischen Erfolg der DUH potentiell die bundespolitische Bedeutung, welche sich der Abmahnverein zur Mobilisierung der eigenen Anhänger und Spender erhofft hatte. Die umfangreichen Folgekosten für die deutsche Wirtschaft wie Privathaushalte sind dabei für die grünen Lobbyisten aus Radolfzell am Bodensee nur Kollateralschäden.

Deutscher Braunkohlen-Industrieverein (Debriv):

 braunkohle.de

 www.leag.de