© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Das Herz des Feindes zerreißen
Machtwille: Innenministerin Nancy Faeser ist weniger als Person denn als Politiker-Typus von Interesse
Thorsten Hinz

Frauenquote, Regional- und innerparteilicher Lagerproporz haben die unbekannte SPD-Frau Nancy Faeser aus der Unterwelt des Politikbetriebs schlagartig ganz nach oben getragen. Als Bundesministerin des Innern hat sie sich im Nu einen Namen gemacht als Speerspitze und Repräsentantin des Repressions-, Schnüffel- und Gesinnungsstaates (vgl.: „Den Feind markieren“, JF 12/22). Der Kampfruf „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ ist faktisch zum Regierungsprogramm geworden. Wobei der Faschismus-Begriff sich beliebig erweitern läßt. Potentiell umfaßt er alles, was außerhalb der Wunsch- und Vorstellungswelt von Faeser, Haldenwang & Co. liegt. Und wo bereits dissidentes Meinen behördliche Repression auf den Plan ruft, brauchen konforme, sogenannte Anständige keine Hemmungen mehr zu haben, sich zu Hilfspolizisten aufzuschwingen und dissidentes Handeln im Zuge präventiver Verbrechensabwehr durch Faustrecht zu unterbinden. Es läuft auf den kalten Bürgerkrieg von oben hinaus.

Oder wird der verstärkte Schutz von Mandatsträgern, den Faeser in ihrem vergangene Woche gemeinsam mit den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, vorgestellten Zehn-Punkte-Programm gegen Rechtsextremismus (JF 12/22) ankündigt, auch jenen Mandataren zugute kommen, die von ihr zu den „Rechtsextremen“ gerechnet werden? Sie sind schließlich überproportional die Zielscheibe von Gewalt. Auch ließe sich darauf verweisen, daß Wladimir Putin die Ukraine-Invasion mit der „Entnazifizierung“ des Nachbarlandes begründet und damit als einen großangelegten „Kampf gegen Rechts“ rechtfertigt. Für solche ironischen Implikationen ist Frau Faeser unempfänglich, und vor kognitiven Dissonanzen schützt sie ihr unreflektierter Antifaschismus. Die Volljuristin war jahrelang in einer Wirtschaftskanzlei tätig, einen IQ im gehobenen Bereich darf man ihr also zutrauen. Um so mehr bietet sie ein Beispiel dafür, daß Intelligenz und Beschränktheit sehr wohl zusammengehen können.

Nebenher widerlegt sie das beliebte Vorurteil, daß Frauen es besser und die Politik menschlicher machen. Zuletzt hatte Angela Merkel von einem Geist und einer Strömung in der Gesellschaft profitiert, den die amerikanischen Autoren John Gerzema und Michael D’Antonio als „Athene-Doktrin“ bezeichneten. Benannt ist sie nach der griechischen Göttin, der Kriegerin, deren Stärke aus Weisheit und Fairneß resultiert. Laut einer weltweiten Umfrage unter 64.000 Teilnehmern werden als typisch männlich geltende Wesensmerkmale wie Stärke, Dominanz, Egoismus, Konfliktbereitschaft immer weniger geschätzt. Eine Mehrheit der Befragten meint, man müsse sie durch weibliches Denken und weibliche Werte ersetzen, um das Leben und die Welt insgesamt zu verbessern.

Zu den weiblichen Eigenschaften werden Empathie, Kollegialität, Flexibilität, offene Strukturen, Selbstlosigkeit gezählt. Sie scheinen vielen am ehesten geeignet, um Zusammenarbeit, soziale Verantwortung, Transparenz und langfristiges Denken durchzusetzen. Die Praxis sieht anders aus. Als einzige nachweisbare Leistung haben es die Zeuginnen der Athene bisher vollbracht, auch das Geschlechterverhältnis zu einem Kampfplatz zu machen, auf dem Krieg gegen den alten, weißen, toxischen und tendenziell faschistischen Mann geführt wird.

Es war die Lady Macbeth, die um des Machterwerbs willen ihren zögernden Mann zur Bluttat antrieb. Friedrich Schiller hatte die Französische Revolution zunächst begrüßt, später verurteilte er ihre blutigen Exzesse: „Da werden Weiber zu Hyänen / Und treiben mit Entsetzen Scherz / Noch zuckend mit des Panthers Zähnen / Zerreißen sie des Feindes Herz.“ Ein schreckliches Exempel aus der jüngeren deutschen Geschichte bietet Hilde Benjamin (1902–1989), die Präsidentin des Obersten Gerichts und spätere Justizministerin der DDR, deren zynisch-kalter Machtgenuß sogar dem Despoten Walter Ulbricht unheimlich wurde, weshalb er sie schließlich verabschiedete. Noch kurz vor ihrem Tod kommentierte sie die Abschwächung der politischen Strafjustiz mit der Frage: „Warum so milde, Genossen?“ Was ein Berliner Bezirksamt 2018 nicht davon abhielt, sie in die offiziöse Broschüre „Starke Frauen in Steglitz-Zehlendorf 1945–1990“ aufzunehmen. Ein SPD-Mann verfaßte dazu das Vorwort.

Und während im Sommer 1989 einige Herren im SED-Politbüro unbeholfene Absetzbewegungen von ihrem Chef Erich Honecker probten, forderte dessen Gattin Margot in ihrer Eigenschaft als DDR-Bildungsministerin auf dem Pädagogischen Kongreß: „Noch ist nicht die Zeit, die Hände in den Schoß zu legen, unsere Zeit ist eine kämpferische Zeit, sie braucht eine Jugend, die kämpfen kann, die den Sozialismus stärken hilft, die für ihn eintritt, die ihn verteidigt mit Wort und Tat und, wenn nötig, mit der Waffe in der Hand.“

Man setzt Nancy Faser weder mit der Lady Macbeth noch mit den zwei DDR-Damen gleich, wenn man ihr Agieren als beinhart, starr und dogmatisch charakterisiert und ihrer Behauptung, die größte Bedrohung der Gesellschaft gehe vom Rechtsextremismus aus, den gleichen Erkenntniswert zumißt wie dem Margot-Honecker-Zitat. Davon abgesehen ist Faeser weniger als Person denn als Exemplar eines verbreiteten Politiker-Typus von Interesse, der die „offene Gesellschaft“ – zu deren Schutz laut Aktionsplan den als „rechtsextrem“ identifizierten Sportschützen die Waffe aus der Hand genommen werden soll – als eine autoritäre, geheimdienstlich überwachte und zertifizierte Veranstaltung vorschwebt. Die „offene Gesellschaft“ hingegen, die Karl Popper meinte, eröffnet – der Name sagt es schon – einen weiten, offenen Raum für Meinungspluralität. Schwindet das eine, hört auch das andere auf zu existieren.

1970 in Bad Soden als Tochter eines kommunalen Bürgermeisters geboren, trat Faeser typischerweise schon 1988 der SPD bei; seit 2019 ist sie Landesvorsitzende der hessischen SPD. Dieser Typus politisierte sich bei den Jusos, in der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung, im Helmut-Kohl-Bashing und mit den Liedern von Herbert Grönemeyer. In Grönemeyers Song „Wir tanzen“ aus dem Jahr 1986 sind die Deutschen – außer Herbert & Fans natürlich – fröhlich-dumme Semi-Nazis („Wir sind eben aus ganz besonders deutschem Holz“), die davon träumen, Schlesien heimzuholen, die das Waldsterben achselzuckend quittieren, eiskalt Asylanten abweisen und der ganzen Welt wieder mal die Richtung weisen wollen. Wer derart sozialisiert und kulturalisiert wurde, dem mußten der Mauerfall und die Wiedervereinigung einen Schock verursachen, der Halluzinationen vom Faschismus, von Großdeutschland und einem Vierten Reich auslöste. Von dem Schock hat dieser Politiker-Typus sich bis heute nicht erholt.

Seine politische Infantilität hat sich erfolgreich mit dem Willen zur Macht verbunden und übt dadurch eine zerstörerische Wirkung aus. Eine verantwortungsvolle, auf das Wohl des Gemeinwesens bedachte Politik würde das Land, das den fragilen Wohlstand seiner alternden Bevölkerung nur durch hochintelligente Produkte und Dienstleistungen behaupten kann, keiner massen- und dauerhaften Zuwanderung gänzlich anders sozialisierter, häufig analphabetischer Personen aussetzen. Eben dieser Widersinn aber soll als neue Normalität unwidersprochen bleiben. Das erinnert an die Karikatur in einer polnischen Zeitschrift aus den 1980er Jahren: Die Menschen tragen Plakate mit der Aufschrift „2 x 2 = 5“. Auf den einzigen, der mit „2 x 2 = 4“ dagegenhält, stürzen sich Krankenwärter mit der Zwangsjacke.

Die Antwort auf die Frage, welche Umstände diesem politischen Typus Wirkungsräume eröffnen und letztlich ein Beinahe-Machtmonopol verschafft haben, erschließt sich über den „Rechtsextremismus“. Mit diesem Schlüsselwort wird die von der Frankfurter Schule implementierte NS-Fixierung in Staat und Gesellschaft aktualisiert und fortgesetzt. Das logische Gegenstück zum „Rechtsextremismus“ ist der „Antifaschismus“.

Auf dessen Spuren wandelt bekanntermaßen auch Nancy Faeser. Natürlich ist diese Frau im Ministeramt eine Katastrophe. Das entbindet ihre Kritiker jedoch nicht von der Pflicht, gerecht mit ihr zu sein und sie nicht zu verteufeln. Vor allem ist sie das durchschnittliche Produkt der Umstände, in die sie gestellt wurde und die sie geformt haben.

Foto: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellt gemeinsam mit Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor (15. März 2022)