© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Plädoyer für Barmherzigkeit
Seltener TV-Höhepunkt bei den Öffentlich-Rechtlichen: „Honecker und der Pastor“
Dietmar Mehrens

Wie ein Häufchen Elend stehen sie da auf einmal vor der Tür des Lobetaler Pfarrhauses: der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker (Edgar Selge) und seine Margot (Barbara Schnitzler), das gefürchtetste Frauengesicht des Sozialismus. Aus ihrem Wandlitzer Haus, geplant als Vorzugsaltersruhesitz für privilegierte Parteisoldaten, sind sie rausgeworfen worden. Es ist der Winter 1990, und der Wind hat sich gedreht: Der einst mächtigste Mann der DDR ist jetzt der am meisten gehaßte und seine Frau in ständiger Sorge: Ihr Erich ist schwer an Krebs erkrankt und nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus praktisch obdachlos. Die Reaktion von Pastor Uwe Holmer (Hans-Uwe Bauer) auf den unorthodoxen Asylantrag ist mutig: „Wir weisen niemanden ab. Willkommen und Gottes Segen!“

Bald gibt’s Ärger: Demonstranten und eine Medienmeute versammeln sich vor dem Haus. Bild titelt: „Honecker lernt beten“. Doch im Streit mit seinen Kritikern hat Holmer die besseren Argumente: „Wenn wir Barmherzigkeit predigen, dann müssen wir sie auch leben.“ Auch Kornelius, der jüngste Sohn der Holmers, aus dessen Sicht die historische Begebenheit erzählt wird, hat begriffen, warum sie keine andere Wahl hatten: „Weil wir Christen sind und es Jesus nachtun wollen.“ In glänzenden Dialogen kontrastiert der Film des „Tatort“-Darstellers Jan Josef Liefers die Weltsicht von Predigern der Nächstenliebe mit der bornierter Kaderkommunisten. Für Margot ist alles eine Verschwörung des Westens.

Am Frühstückstisch gibt Erich wieder den SED-Chef

Edgar Selge, der 2017 in dem grauenhaften LGBT-Propagandafilm „So auf Erden“ bereits selbst einen frommen Pastor gespielt hatte, verkörpert Holmers atheistischen Antipoden bis in sprachliche Details hinein glaubhaft. Unsicher und steif kämpfen sich die SED-Veteranen durch die demütigende Lage. Am Frühstückstisch fällt Erich zurück in die Rolle des SED-Chefs und versucht sich in einer Ansprache. Wenigstens die üblichen 35 Mark Miete möchte er entrichten. Aber: „Barmherzigkeit ist nicht käuflich.“ Mit dem biblischen Begriff können die Polit-Pensionäre zwar wenig anfangen, aber immerhin erkennen sie die Ironie, die darin liegt, daß sie Asyl bekommen haben in einer Einrichtung, die das SED-Regime auf dem Kieker hatte: Die Lobetaler Diakonie gehört zu den von Friedrich von Bodelschwingh vor 150 Jahren gegründeten Anstalten für Obdachlose.

Liefers, der als gebürtiger Dresdener eine Ost-Sozialisation hat, ist ein wunderbares Wendezeit-Porträt gelungen, das er gekonnt mit witzigen Details würzt: Da wird im Hintergrund Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ eingespielt, und natürlich ist es der gläubige ZDF-Frontmann Peter Hahne, der für „Heute“ von den beiden in Lobetal Gestrandeten berichten darf. Eine originelle Pointe rundet das bewegende Plädoyer für Vergebung und Gottvertrauen ab.

Der Film ist in der ZDF-Mediathek bis zum 11. März 2023 verfügbar

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