© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Die häßliche Fratze des Antirassismus
Ein Hauch von Goebbels: Der Roman „Identitti“ will Identitätspolitik mit Mitteln der Satire entlarven
Dietmar Mehrens

Daß linke Identitätspolitik die Krankheit ist, für deren Therapie sie sich hält, ist in den letzten Monaten zunehmend mehr Menschen klargeworden. Sahra Wagenknechts Abrechnung mit den Jakobinern der Gegenwart, die sie verharmlosend „Die Selbstgerechten“ nannte, ist das derzeit prominenteste Beispiel. Papst Franziskus heftete der Ideologie der Geschlechtsrevisionisten bereits 2014 das Etikett „dämonisch“ an. 74 Prozent der Franzosen halten die aktuellen Antirassismus-Auswüchse für verkehrt (JF 19/21). Und der Spiegel attestierte diesen gar einen „Hauch von Nordkorea“.

In der Endauswahl für den vorjährigen Deutschen Buchpreis stand mit „Identitti“ von Mithu (gesprochen: MeToo) Sanyal ein Werk, das sich auf der Grundlage wahrer Begebenheiten facettenreich mit dem Phänomen auseinandersetzt und dabei die virulenten Querverbindungen zwischen Antirassismus, Geschlechtsrevisionismus (LGBT) und Linksextremismus sichtbar macht. Der Übergang von divers zu pervers ist in „Identitti“ fließend, ebenso die Grenze zwischen Betroffenheit und Besessenheit, zwischen Pein und Psychose.

Das ist am besten zu erkennen an der Hauptfigur des Romans, der 26jährigen Nivedita Anand, Halb-inderin, Queerdenkerin, „feministisches Antifa-Mädchen“. Ihre Düsseldorfer Studenten-WG ist der Prototyp einer linken Echokammer, sie selbst als idealtypische Inkarnation des Neomarxismus eher Karikatur als seriöse Figur: Ruft man Nivedita an, ertönt die Internationale. Unter dem Namen Identitti, mitunter auch als Mixed-Race Wonder-Woman, bloggt sie regelmäßig zu den Themen Rasse und Geschlecht, zu Identitätspolitik und Brüsten, wie sie selbst sagt.

Dämonische Natur pseudowissenschaftlicher Irrlehren

Aufgrund einer schizoiden Persönlichkeitsstörung erscheint ihr regelmäßig ein Dämon in Gestalt der hinduistischen Göttin Kali. Das ist (wie auf dem Buchumschlag zu sehen) ein blauhäutiges Monstrum mit vier Armen, einem Rock aus abgetrennten Menschenarmen und einer Kette aus Menschenköpfen um den Hals. Das muß man Mithu Sanyal lassen: Ein treffenderes und zugleich provokanteres Bild hat im deutschen Literaturbetrieb noch niemand für die dämonische Natur der pseudowissenschaftlichen Irrlehren gefunden, die – nicht selten unter Mitwirkung psychischer Defekte – seit Generationen im linksextremen akademischen Milieu grassieren. 

Nicht aber Kali, sondern ihrer Professorin Saraswati gilt Niveditas ganze Verehrung. Saraswati ist Hochschullehrerin für „Postkoloniale Theorie“, Autorin der vielbeachteten Abhandlung „Decolonize your Soul“ und, um auch noch das letzte Milieuklischee zu erfüllen, lesbisch. „Es gibt Menschenrassen so wenig, wie es die Rasse von Wasser gibt oder das Geschlecht von Licht“, glaubt die Indoktrinationsweltmeisterin.

Sanyal inszeniert das Zentralgestirn ihres Romans als weiblichen Joseph Goebbels: Gefürchtet für ihre geschliffenen scharfzüngigen Repliken und mit so viel natürlicher Ausstrahlung gesegnet, daß sie auch „Charismati Saraswati“ genannt wird, dominiert die Professorin mit ihrer narzißtischen Persönlichkeit jedes Gespräch, kontrolliert jede Situation und bindet Horden potentieller Gespielinnen an sich. Sie ist fähig zur Massenhypnose und von Anbeginn ihres Wirkens an verloren an eine kranke Ideologie, als deren Ursprung diesmal nicht das antisemitische Hetzwerk „Mein Kampf“ identifizierbar ist, sondern Michel Foucaults „Der Wille zum Wissen“.

Mit Karl Marx träumt sie den Traum aller totalitären Weltrettungsphantasten: „das Paradies auf Erden zu errichten“. Emsig wirkt sie daran mit, die Begriffe zu installieren, deren jede Ideologie bedarf, um ihren Anhängern das nötige Rüstzeug zur weltbildkonformen Deutung der Wirklichkeit zu geben: PoC ist nicht BIPoC, BIPoC nicht BAME, Termini, die die Autorin ihren Lesern mit einer Mischung aus sarkastischer Überzeichnung und solider Fachkenntnis immer wieder unter die Nase reibt. Was aber ist Saraswati? Ist sie eine „PoC“, eine „Person of Colour“, wie die identitätspolitisch korrekte Formulierung für Nichtweiße lautet? Alles in „Identitti“ dreht sich um diese eine Frage.

Ein Skandal erschüttert nämlich die Heinrich-Heine-Universität, nachdem Raji, der Bruder der bestens beleumundeten Professorin, ihre wahre Identität enthüllt hat: Saraswati heißt in Wahrheit Sarah Vera Thielmann, hat keine indischen Wurzeln und ist nicht mehr „of Colour“ als die blasse Führungsriege der CDU. Saraswatis rassischer Aneignungsversuch ist die Permutation von Michael Jacksons Wandel zum Weißen. Doch es gibt noch ein anderes reales Vorbild: Rachel Dolezal. Die Vorsitzende einer Unterabteilung der Nationalen Gesellschaft für die Förderung von Farbigen (NAACP) in den USA ist wie Saraswati eine Weiße und gab sich als „PoC“ aus. 2015 flog der Schwindel auf. Die Reaktionen von Medien und Öffentlichkeit auf den Fall hat Sanyal in ihrem Roman gleichsam reinszeniert.

Viele Saraswati-Jünger wenden sich irritiert von ihrer Säulenheiligen ab. Auf Twitter und Instagram entlädt sich unter dem Schlagwort #Saraswat

Shame eine tsunamigroße Empörungswelle. Von „kulturellem Diebstahl“ spricht die Washington Post. Saraswati habe sich ihre Professur durch die Vortäuschung einer falschen Identität ergaunert. Der Proteststurm erreicht schließlich seinen Höhepunkt mit einer Demonstration vor der Wohnung der interkulturellen Koryphäe. Obwohl auch Nivedita von ihr enttäuscht ist, steht sie zu diesem Zeitpunkt auf der anderen Seite: Sie hat sich dazu entschlossen, bei der Verfemten einzuziehen und so ihren Motiven auf die Spur zu kommen. Drei Wochen lang bilden die Postkolonialismus-Professorin, ihre Lebensabschnittsgefährtin Toni und ihr Bruder Raji zusammen mit Nivedita und ihrer Cousine Priti, die mit Raji liiert ist, eine Krisenstabs-WG. 

Es ist von Anfang an klar, worauf hier alles hinausläuft: Als Farbige lebt Saraswati einfach nur ihr wahres Ich. Denn: „Wenn es ‘genderfluid’ gibt, warum sollte es nicht ‘racefluid’ geben?“ (S. 266). Wenn Geschlecht, wie die Gendertheorie behauptet, nur ein soziales und politisches Konstrukt ist, dann ist es Rasse erst recht. Ihren Kritikern wirft Saraswati „Identitäts-McCarthyismus“ vor und bekennt selbstbewußt: Sie sei nicht „transracial“, sondern „postracial“. Schließlich habe ja Hautfarbe nichts mit Rasse zu tun. Am Ende steht der Versuch einer Katharsis der vielen Gekränkten unter den Protagonisten: Saraswati möchte den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, buchstäblich. Die Rolle des Beelzebub kommt selbstverständlich Kali zu.

Sprachliche Zumutungen in schnippisch-mokantem Tonfall

Es ist ein reichlich dürres Klappergestell, auf dem die 1971 geborene Autorin nach fulminanter Ouvertüre eine Romanhandlung aufzuhängen versucht. Ein paar lieblos zwischengeschaltete Rückblicke auf die Jugend von Nivedita und Priti und ihre promiskuitiven sexuellen Fehlleistungen sowie Niveditas aktuelle An-Aus-Beziehung mit einem Gesinnungsgenossen dienen als Staffage. Sie täuschen nicht darüber hinweg, daß es Sanyal vor allem darum ging, ein wildes Konglomerat von Gedanken zur Identitätspolitik zu Papier zu bringen. Ihr Romandebüt ist ein verkapptes Thesenpapier im XL-Format, eine Collage aus Originalzitaten und Interneteinträgen (die teilweise im Rahmen einer Simulation von realen Autoren beigesteuert wurden), ein kulturwissenschaftlicher Essay in Dialogform. Deswegen hören sich auch ihre Figuren alle gleich an. Alle reden in demselben schnippisch-mokanten Tonfall und benutzen dazu eine Art Transsprache, ein unleserliches Denglisch. Einzig Priti ist unverwechselbar: Die in Birmingham Aufgewachsene spricht ein peinliches Pidgin-Deutsch. Hier und da kommt unter dem Schlagwort #KündigtSaraswati auch die AfD zu Wort – nicht nur sprachlich ein Lichtblick im Tunnel der Identitätsirren.

Dupatta und Futon, Debunking und chillaxen: Man könnte es positiv sehen und sagen, daß man als Leser jede Menge neuer Wörter lernt. Oder daß man nur dieses eine Buch braucht, um die JF-Rubrik Sprachpranger für die nächsten zehn Jahre zu füllen. Tatsächlich dürften die sprachlichen Zumutungen für die meisten Leser am Ende leichter zu ertragen sein (Sanyal gelingen nämlich auch schöne Sätze und glänzende Metaphern) als der Umstand, daß der dünne Stoff, den die gebürtige Düsseldorferin zu einem quälend langen 400-Seiten-Roman verwoben hat, im Grunde nur für eine Novelle reicht. 

Mit seinem satirischen Tenor ist „Identitti“ die ideale Ergänzung zu Timur Vermes’ Hitler-Satire „Er ist wieder da“ (2012), quasi ihr linksextremes Pendant. Während Vermes dem wiederauferstandenen Führer bei seinem Marsch durch gesellschaftliche Institutionen folgte und sich über die Unempfindlichkeit für rechte Parolen mokierte, sehen wir in „Identitti“ das Ergebnis des berüchtigten Marsches der akademischen Linken durch die Institutionen. Für beide gilt: Der größte Mumpitz kann öffentlich proklamiert werden, solange nur genügend Claqueure bereitstehen, die durch ihren Beifall dafür sorgen, daß die dumme Masse sich vor dem Dämon verneigt, der ihn ausgebrütet hat.

Es ist bemerkenswert, wie schonungslos Mithu Sanyal das debile Wesen von Antirassismus- und Genderdoktrin seziert und deren verblendete Aktivisten demaskiert, obwohl sie selbst augenscheinlich mit ihr sympathisiert. Als Kulturwissenschaftlerin entstammt sie demselben Milieu wie die von ihr erschaffene Agitprop-Kanone Saraswati. Daß die Autorin auch in ihrem Nachwort nicht von dem grotesken Genderstern abrückt, der bei personalem Erzählen im Roman als Mittel der Figurencharakteristik durchgeht, und daß sie sich auch bei öffentlichen Auftritten wie im Oktober beim Literarischen Quartett des ZDF der faschistoiden Gendersprache bedient, nährt den Verdacht, daß nicht alles, was beim ideologisch unverseuchten Leser als Satire ankommt, auch so gemeint war. Aber das ist eben das Wesen von Literatur: daß jeder beim Lesen einer Geschichte auch seine eigene Geschichte mitliest. 

Egal aber, wie man das Buch am Ende auffaßt, als zeitgeschichtliches Dokument des Untergangs der Kultur der deutschen Ureinwohner hat „Identitti“ gute Aussichten auf einen Platz in der deutschen Literaturhistorie. Kali, der Göttin der Zerstörung, wird das ein Grinsen entlocken.

Mithu M. Sanyal: Identitti. Roman. Hanser Verlag, München 2021, gebunden, 432 Seiten, 22 Euro

Foto: Porträt der hinduistischen Göttin Kali: Verkörperung der Zerstörung