© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Es bleibt das Vaterland als Verpflichtung
Vor 150 Jahren wurde General Walther Reinhardt geboren / Preußens letzter Kriegminister prägte die Struktur der Reichswehr
Stefan Scheil

Die Jahre 1918/19 hatten Spuren hinterlassen, auch bei General Walther Reinhardt. Es sei leider nichts mehr übrig von dem schönen alten Wahlspruch „Mit Gott für König und Vaterland“, notierte er in den 1920ern. Der König sei abgesetzt, und er komme auch nicht wieder. Auf einen abstrakten Gott allein könne jedoch niemand verpflichtet werden. „Was aber bleibt, ist die Pflicht zur Verteidigung des Vaterlands gegen den Feind. Daher ist es völlig angemessen, wenn sie heute unter dem Motto ‘Deutschland über alles’ steht.“ 

Eigentlich könnte der 1872 in Stuttgart geborene Walther Reinhardt heute aus einer ganzen Reihe von Gründen einer der prominentesten deutschen Offiziere sein. Nicht zuletzt sein Einsatz und sein Verhandlungsgeschick machten es im November 1918 möglich, in Berlin auch unter der Revolutionsregierung Ebert den Regierungsbetrieb aufrechtzuerhalten. Als sonst niemand aus den Kreisen der höheren deutschen Offiziere wirklich die Verantwortung wollte, griff Reinhardt als General der württembergischen Armee zu, leitete die Demobilisierung der heimkehrenden Armee und übernahm das Amt des preußischen Kriegsministers. Fortan organisierte er unter anderem den Schutz der Reichskanzlei.

Zuvor hatte Reinhardt während des Weltkriegs zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter 1917 auch den höchsten preußischen Orden Pour le Mérite. Er lernte als Generalstabsoffizier die Kriegsschauplätze in Ost und West kennen. Als Kriegsminister zog es ihn nun seit 1918 in die politischen Entscheidungsprozesse im engeren Sinn hinein. Hier sollte sich allerdings zeigen, daß seinen Ratschlägen an entscheidenden Stellen nicht gefolgt wurde.

Das galt zum Beispiel, als im Sommer 1919 die Stunde heraufzog, in der Deutschland zu dem Vertragsentwurf Stellung nehmen mußte, den die Siegermächte sich in Versailles großzügig selbst in die Feder diktiert hatten. Für Reinhardt lagen die Dinge klar. Eine Unterzeichnung solcher Bedingungen sei unmöglich, Widerstand auch militärischer Natur sei vor diesem Hintergrund angezeigt. Auch an den Planungen für einen von Deutschland abgetrennten „Oststaat“, von dem dann die spätere Befreiung ausgehen könnte, beteiligte er sich.

Für solche radikalen Gegenmaßnahmen fehlten den anderen deutschen Entscheidungsträgern bekanntlich sowohl der Mut als auch das Einfühlungsvermögen in die Situation auf der Gegnerseite. Dort hatte man durchaus mit deutschem Gegenwind gerechnet. Trotz der nach außen aufrechterhaltenen gemeinsamen Siegerfassade waren sich die Alliierten keineswegs einig, wie dann zu reagieren sei, falls etwa einfach niemand zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags kommen würde. Der angedrohte Einmarsch Richtung Berlin galt inzwischen als ebenso unpopulär wie die immer noch aufrechterhaltene Hungerblockade gegen Deutschland, die international zunehmend skandalisiert wurde. Am Ende glaubte die deutsche Regierung jedoch, sich in einer alternativlosen Situation zu befinden. Sie unterzeichnete das Versailler Diktat. 

Mit der Weimarer Republik als Staatsform anfreunden

In der Folgezeit arbeitete Walther Reinhardt weiter intensiv an theoretischen wie praktischen Konzepten zur Wiederherstellung des deutschen Willens zur militärischen Selbstbehauptung. Als Vorbilder winkten natürlich von ferne die preußischen Reformer des frühen 19. Jahrhunderts, die ebenfalls unter den Bedingungen einer nationalen Katastrophe nach 1806 am Wiederaufbau gearbeitet hatten. Doch akzeptierte Reinhardt als ein gewisser Sonderfall im deutschen Offizierskorps zugleich die neu gelagerte Situation und die parlamentarische Verfassung des deutschen Staates. Die Reichswehr mußte und sollte sich seiner Ansicht nach mit der Weimarer Republik als Staatsform anfreunden. Gegen den monarchistisch orientierten Kapp-Putsch des Jahres 1922 wäre er daher notfalls bewaffnet vorgegangen, anders als sein langjähriger Rivale Hans von Seeckt. Seeckt sperrte sich erfolgreich gegen einen solchen Einsatz und führte die deutschen Streitkräfte schließlich in eine Art neutralen Status gegenüber dem von ihnen verteidigten Gemeinwesen. 

Dieser Konflikt mit Seeckt und dessen Nebenwirkungen ließen Walther Reinhardt 1927 aus dem Dienst ausscheiden. 1930 verstarb er, erst 58jährig. Die auf ihn zurückgehenden Fortbildungskurse in staatsbürgerlicher Haltung fanden jedoch bis 1933 weiterhin statt, als eine Art Vorläufer des Konzepts vom „Staatsbürger in Uniform“. Zudem sollten Generalstabsoffiziere durch den Besuch von zivilen Universitäten zum Denken über den engeren militärischen Bereich hinaus angeregt werden. So stellte sich Reinhardts Wirken nach 1955 zunächst durchaus als modern und inspirierend für die Traditionsbildung der Bundeswehr dar. In seiner württembergischen Heimat trägt eine Kaserne seinen Namen. Sie steht aktuell leer, wie so vieles bei der Bundeswehr. Denn der Wehrwille ist heute gründlicher verloren denn je, in einem Regierungssystem, das nicht nur den Satz „Deutschland über alles“ ablehnt, sondern den Einsatz für ein deutsches Volk jüngst für tendenziell verfassungswidrig erklären ließ.

Walther Reinhardt (1872–1930), letzter preußischer Kriegsminister und prägender General der Reichswehr: In den ersten Jahren der Bundeswehrgalt er noch als inspirierend für dieTraditionsbildung