© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Eine teure Tarnkappe
Auch die Bundeswehr soll den US-Allzweck-Jet F-35 bekommen
Fabian Schmidt-Ahmad

Nach Jahren der Dürre ein warmer Geldregen: 100 Milliarden Euro zusätzlich hat Olaf Scholz der Bundeswehr versprochen. Und schon steht die erste Milliarden-Anschaffung fest: Die Luftwaffe soll die F-35 Lightning II des US-Rüstungsriesen Lockheed Martin bekommen, das neue Standard-Kampfflugzeug des US-Militärs und der Nato-Staaten Dänemark, Großbritannien, Kanada, Niederlande, Norwegen und Italien. Auch Finnland, die Schweiz, Israel, Australien, Japan und Südkorea wollen den über 80 Millionen Dollar teuren Tarnkappenjet der „fünften Generation“ erwerben. Also die richtige Entscheidung im Sinne einer vernetzten Kampfführung?

„Nach sorgfältiger Betrachtung aller Optionen, die auf dem Tisch lagen, habe ich mich entschieden, für die Aufgabe der ‘nuklearen Teilhabe’ die Beschaffung von Flugzeugen des Typs F-35 einzuleiten“, erklärte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Zunächst 35 Exemplare der F-35A (Air Force- und Exportversion) sollen den Panavia Tornado als atomaren Waffenträger ersetzen: Bundeswehrpiloten mit US-Kernwaffen dringen tief ins russische Kernland ein und werfen dort ihre tödliche Fracht ab. Die F-35 ist sogar für den Abwurf der Wasserstoffbombe B61-12 lizenziert.

Das müßte doch Kriegszar Wladimir Putin abschrecken? Doch zwischen Theorie und Praxis klaffen Welten. Seit den fünfziger Jahren sollte die US-Langstreckenbomberflotte aus mehreren hundert Boeing B-52 sicherstellen, jederzeit tief ins Warschauer-Pakt-Gebiet einzudringen. Daher wurde ständig an dessen Grenzen patrouilliert. Nachdem die Sowjetunion in den 1960er Jahren ihre Luftabwehr weiterentwickelt hatte und nun auch Angriffe in 15 Kilometer Höhe abwehren konnte, verlagerte sich das Geschehen in Bodennähe. Jetzt sollten Überschall-Bomber im Tiefflug ihre Ziele unter dem Radar angreifen. Rockwell lieferte daher 1973/74 zunächst vier B-1A.

Ausgefeilte Geometrien und Beschichtungen tricksen Radar aus

Unter Präsident Jimmy Carter wurde das Großprojekt abgesagt. Denn inzwischen elektrisierte das US-Militär eine neue Technik: die elektromagnetische Tarnkappe. Und BAE Systems, Messerschmitt-Bölkow-Blohm und Aeritalia konnten im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“ ab 1980 einen europäischen Kampfjet aufbieten: den Tornado. Das Vielzweck-Kampfflugzeug war der großen B-1 an Waffenlast und Reichweite natürlich unterlegen, bewältigte aber in der Konfiguration als Jagdbomber mit Abwurftanks durchaus Reichweiten, die von Westdeutschland aus Angriffe ermöglicht hätten. Als B-1B kamen unter Ronald Reagan zwar doch noch 100 Exemplare zur US-Luftwaffe, aber mit der F-117 stieg 1981 auch erstmals ein Flugzeug in den Himmel, das für konventionelle Radargeräte praktisch unsichtbar war. Durch spezielle Geometrien und Beschichtungen war es Lockheed gelungen, den Radarquerschnitt des Jets drastisch zu reduzieren. Gleichzeitig zeigte die F-117 die Schwachstellen der Stealth-Technik: Die Wartung der komplizierten und fehleranfälligen Flugzeuge ist extrem teuer. Mit Stückkosten von fast einer Milliarde Dollar setzte der strategische Tarnkappenbomber Northrop B-2 (nach dem Prinzip des deutschen Nurflüglers Horten H IX von 1944) seit den 1990ern völlig neue Maßstäbe. Der geplante Nachfolger B-21 dürfte nicht sehr viel billiger werden.

Auch die Entwicklung der F-35 belastete den gigantischen US-Wehretat erheblich. Am Ende wird den amerikanischen Steuerzahler das Mehrzweck-Kampfflugzeug in seinen drei Versionen (F-35B: Senkrechtstarter; F-35C: Trägerflugzeug der Navy) wohl eine Billion US-Dollar gekostet haben. Dennoch zwingen Technik wie Kostenvorgaben die Ingenieure zu Kompromissen, die am Ende ein Flugzeug mit bescheideneren Leistungsdaten aus den Werkshallen in Fort Worth/Texas rollen lassen. 

Ein unausgereiftes Rüstungsprojekt als Ersatz für die Tornado-Flotte?

Das Washingtoner„Project On Government Oversight“ (Pogo), das seit 1981 die Militärausgaben der US-Regierung kritisch beleuchtet, machte am 9. März einen Pentagon-Bericht öffentlich, der 845 Mängel bei der F-35 auflistete. Sechs davon seien in die „Kategorie I“ eingestuft worden oder es seien Konstruktionsfehler, die so schwerwiegend sind, daß sie „zum Tod, zu schweren Verletzungen oder zu Berufskrankheiten führen können, Verluste oder größere Schäden an einem Waffensystem verursachen können oder die Kampfbereitschaft kritisch einschränken“ könnten.

Auch was Waffenlast und Reichweite betrifft, muß der Tornado den Vergleich nicht fürchten. Denn was der einfach als Außenlast unter die Flügel nimmt, muß bei der F-35 in internen Waffenschächten mitgeführt werden. Sonst ist es vorbei mit der Tarnkappe. Ein Tornado, der im norddeutschen Jagel startet, könnte Moskau noch erreichen, falls ihn auf dem Rückweg ein Tankflugzeug erwartet. Eine F-35 hat einen kleineren Tank und müßte wohl im Baltikum starten. Deutschland verfügt zudem nicht über die notwendige Boomer-Technik zur F35-Luftbetankung. Der US-Flieger kann die 93 Tornado nicht voll ersetzen. Daher sollen 15 neue Eurofighter die ECR-Tornados (Bekämpfung von Radarsystemen) ersetzen. Die eingeschränkte Flugzeuggeometrie macht die F-35 im Luftkampf verwundbarer. Für die gebotene Kampfkraft gäbe es billigere Lösungen. Und wie störanfällig die Technik ist, erlebten kürzlich die Berliner, als eine F-35 der Amerikaner auf dem BER notlanden mußte.

F-35-Trumpf bleibt allerdings die Tarnkappe. Doch wie lange? Der serbischen Luftabwehr gelang 1999 der spektakuläre Abschuß einer F-117 – sie war wohl nicht ganz unsichtbar für langwellige Radargeräte aus Sowjet-Zeiten. Noch gefährlicher für Stealth-Flugzeuge sind passive Radarsysteme. Diese Technik analysiert die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen, etwa von Radiostationen oder Mobilfunkmasten. Gerät ein Flugobjekt in dieses Sendenetz, kann ein „Passivradar“ die winzige Erschütterung wie eine Spinne erspüren und räumlich zuordnen. Ein Stealth-Flugzeug bemerkt seine Enttarnung aber nicht.

Der deutschen Firma Hensoldt soll es 2018 mit ihrem Twinvis-System gelungen sein, zwei F-35 über 150 Kilometer zu orten, als sich diese auf dem Heimflug von der Luftfahrtausstellung ILA befanden. Das könnte auch die russischen Luftangriffe auf ukrainische Fernsehtürme mit erklären. Um die Verwundbarkeit der Stealth-Jets sorgen sich auch US-Militärs: So wurde die zwischen Kiew und Moskau lavierende Türkei unter Donald Trump vom F-35-Lieferprogramm ausgeschlossen, nachdem sich Recep Tayyip Erdoğan für das russische Flugabwehrsystem S-400 (Nato-Code: SA-21 Growler) entschieden hatte. Das Pentagon fürchtete, daß Moskau so auch Rückschlüsse auf die Technologie der US-Tarnkappenflugzeuge ziehen könnte. Und der Nachfolger S-500 Prometheus soll sogar Hyperschallwaffen orten und vernichten können.


 lockheedmartin.com

 www.pogo.org