© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Frisch gepreßt

München. Es gebe „keine Chance, daß die Deutschen das hinbekommen, sie werden alle möglichen Anfängerfehler machen“. Mit seiner pessimistischen Vorhersage sollte Ehud Barak recht behalten. Der spätere israelische Ministerpräsident war 1972 Kommandeur der Eliteeinheit Sajeret Matkal, die er einsatzbereit meldete, als die Nachricht von der Geiselnahme im Olympischen Dorf von München eintraf. Der Rest ist bekannt: Der Versuch der bayerischen Landespolizei, auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck die Geiseln aus den Händen arabischer Terroristen zu befreien, scheiterte kläglich. Am Ende zählen elf israelische Sportler und ein deutscher Polizist zu den Opfern. Auch wenn die Veröffentlichungen über das Olympia-Attentat mittlerweile Legion seien dürften, hat Sven Felix Kellerhoff pünktlich zum nahenden 50. Jahrestag eine akribisch recherchierte, sehr detailgenaue, aber flüssig lesbare historische Reportage vorgelegt. Unerfahrenheit im Umgang mit dem palästinensischen Terrorismus, verschlampte Warnungen der Geheimdienste, fehlende Qualifikationen, Kompetenzwirrwarr – es gab viele Gründe dafür, daß „die Deutschen“ es damals nicht hinbekamen, analysiert Kellerhoff. So gab es beispielsweise keine ausgebildeten Präzisionsschützen, einer der Zufahrtswege zum Olympischen Dorf war für die Radpanzer der Polizei nicht geeignet. Maßgeblich verantwortlich für das Scheitern war aber auch das (Un-)Sicherheitskonzept der Organisatoren, die voll auf Deeskalation setzten. Sicherheitskräfte ohne Uniform und Waffen – alles war dem Wunsch untergeordnet, partout einen Kontrast zu den Olympischen Spielen von 1936 zu setzen und das Stigma der „Nazi“-Vergangenheit loszuwerden. München 1972 wurde schließlich, auch das erwähnt Kellerhoff, zu einem Weckruf. Der Anti-Terror-Kampf in der Bundesrepublik wurde danach eine Sache für Profis, etwa die Männer der neu gegründeten GSG 9. Und nicht ohne Grund setzte ihr Gründungskommandeur Ulrich Wegener (JF 42/17) von Beginn an auf eine enge Zusammenarbeit mit den Spezialisten aus Israel, die man 1972 in Münschen nicht einsetzen wollte. (vo)

Sven Felix Kellerhoff: Anschlag auf Olympia. Was 1972 in München wirklich geschah. wbg Theiss, Darmstadt 2022, gebunden, 240 Seiten, Abbildungen, 25 Euro





NS-Milieu. Die Anzahl der bereits vorliegenden Sozialstudien zu den Mitgliedern der NSDAP steigt mit „Wie ich den Weg zum Führer fand“ um eine weitere. Die Autoren um den Historiker Jürgen W. Falter von der Universität Mainz werteten dafür Selbstzeugnisse ehemaliger Parteigenossen über deren Beitrittsmotive zur Hitler-Bewegung aus. Falter bleibt seiner Linie treu, sich seinem Lebensthema, dem personellen Aufbau der NSDAP, mit Methoden der empirischen Sozialwissenschaft zu widmen, wie schon 2020 in der beachtenswerten Arbeit zu „Hitlers Parteigenossen“. Die neuere Untersuchung kann daran nicht in gleicher Weise anknüpfen und liefert wenige bahnbrechende Erkenntnisse. Angesichts der rund zehn Millionen Deutschen, die zeitweise der Partei angehörten, konnte seine Forschung zur Motivation zum Parteieintritt nur stichprobenartig erfolgen. Daß die NSDAP großen Zuspruch unter Veteranen des Ersten Weltkriegs und aus der Kriegskindergeneration erhielt, ist nicht neu; und verwundert nicht angesichts des Massenphänomens, den der erste globale Waffengang darstellte. Ebensowenig, daß für den Parteieintritt neben politischer Überzeugung auch private und wirtschaftliche Motive eine Rolle spielten. Das eine Hauptmotiv, Nationalsozialist mit Parteibuch zu werden, gab es demnach nicht. Auch der für die Ideologie zentrale Antisemitismus war nicht die treibende Kraft, die zur Parteimitgliedschaft motivierte. In der umfangreichen und quellenkritischen Studie wird zu Recht betont, daß andererseits die Erklärungen für die Parteimitgliedschaft während der Entnazifizierungsverfahren natürlich mit größtem Vorbehalt zu lesen sind, da sich niemand unnötig belasten wollte. Zu unterscheiden ist zudem auch, wer bereits in der „Kampfzeit“ vor 1933 zur NSDAP kam oder als „Märzgefallener“ im Frühjahr nach dem Machtantritt Hitlers seiner Karriere auf die Sprünge helfen wollte. (ag)

Jürgen W. Falter u. a.: „Wie ich den Weg zum Führer fand.“ Beitrittsmotive und Entlastungsstrategien von NSDAP-Mitgliedern. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2022, gebunden, 554 Seiten, 45 Euro