© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Bullerbü-Ideen
Feministische NGOs statt Nationalstaaten „alter weißer Männer“: Kristina Lunz eröffnet bemerkenwerte Einblicke in woke Weltkonzepte des außenpolitischen Nachwuchses
Peter Seidel

Wenn ein Autor behauptet, er wisse, wie Krisen gelöst werden „müssen“, sollten die Augenbrauen in die Höhe gehen. Erst recht gilt dies, wenn dieser Anspruch für „globale Krisen“ angemeldet wird. Kristina Lunz’ Patentrezept heißt dazu „Feministische Außenpolitik“. In ihrem Buch geht es um so ziemlich alles, was auf der Welt gegenwärtig durchaus als problematisch gelten kann: von der Gesundheitspolitik über die Klima-„Gerechtigkeit“, die Abrüstung („Frieden schaffen ohne Waffen“) bis hin zur Überwindung eines Postkolonialismus und insbesondere einer Etablierung von global governance im Gefolge der Überwindung des Nationalstaates, damit des Patriachats weltweit und vor allem der „toxischen Männlichkeit“, worunter die 33jährige Lunz offenbar alles versteht, was nicht feministisch ist. Oder mit anderen Worten: „Weltpolitik im 21. Jahrhundert!“ Die gelernte Psychologin und Mitarbeiterin von Uno-Programmen und Nichtregierungsorganisationen läßt dabei so gut wie nichts aus, was in gewissen Mileus westlicher Gesellschaften so en vogue ist. Ihr Projekt einer feministischen Außenpolitik enthält dabei vor allem drei Hauptelemente: 

Erstens: Uneingestanden und ohne Verweis fußt das Buch auf überkommenen Vorstellungen von Johann Galtung („strukturelle Gewalt“) und Jürgen Habermas („herrschaftsfreier Dialog von Gleichen“, auch in der internationalen Politik, global governance), die von Lunz in die Außenpolitik übernommen oder wie schon bei Habermas von falschen Prämissen in der internationalen Politik ausgehen: Denn eine wirkliche internationale Gemeinschaft von Gleichen gibt es nicht, weltweit und europäisch gibt es lediglich größere und kleinere Mächte, die mehr oder weniger ihre eigenen Ziele verfolgen. Diese veralteten Theorien bilden vielmehr gesellschaftliche Fehlentwicklungen vor allem der deutschen Gesellschaft ab, nicht die Realität des neuen geopolitischen Zeitalters. 

Zweitens: Folgerichtig ergibt sich für Lunz daraus ihre Zielrichtung, unter dem Etikett einer „toxischen Männlichkeit“ als der Wurzel allen Übels: die Abschaffung von Nationalstaaten, ja des Staates und von Völkern überhaupt, denn diese würden von „alten weißen Männern“ geführt. Wenn dies kein racial profiling ist. Ersetzt werden könnte das durch internationale Organisationen wie die Uno und NGOs als handelnde Akteure. 

Drittens: Mit derartigen Vorstellungen steht Lunz nicht alleine da. Im Gegenteil. Als die neue grüne Außenministerin in ihrer Antrittsrede im Auswärtigen Amt erklärte, man wolle eine Politik auf der Höhe der „gesellschaftlichen Realität“ machen, ergänzte sie eindeutig: „Das gilt auch für die Außenpolitik“ mit Klimarettung und Feminismus. Es ist also keine Unterstellung, wenn für solche Außenpolitiker die innergesellschaftliche Realität wichtiger ist als das internationale Umfeld. Daß diese Vorstellungen zumindest in Teilen auch in der SPD populär sind, zeigt sich daran, daß deren Verteidigungsministerin nicht mehr von „Bürgern in Uniform“, sondern von „Menschen in Uniform“ spricht, womit die Soldaten der Bundeswehr gemeint sind. Ein weiterer Schritt von der Bürgergesellschaft hin zu einer „Zivilgesellschaft“ und damit zur Abkehr vom Staatsbürger, der sich seinem Land verpflichtet fühlt, hin zum Menschen einer allgemeinen, nivellierten Weltgesellschaft.  

Unterlegt ist dies durch starken Subjektivismus („Mein persönliches Unbehagen“, „mein feministisches Erwachen“, „meine persönliche Sicherheitslücke“), bewußte Emotionalisierung („Waffen – ein Frauenkiller“, „Wer mit Ungeheuern kämpft“, „das machte mich wütend“) und durch ein Argumentieren jenseits der Kenntnis außenpolitischer Zusammenhänge. Stattdessen wird fleißig „dekonstruiert“ und „scharfsinnig zerlegt“ . Und zwar „vor allem deshalb, weil der politische Realismus und Realpolitik für die Lebensrealität der Mehrheit der Bevölkerung kaum relevant ist“. Ansonsten verläßt man sich aufs Hörensagen, sprich auf Berichte von Freundinnen über komplexe Sachfragen, etwa „auf Louises Wissen, das sie mit mir für dieses Buch geteilt hat“. Fazit: Dieser feministische Ansatz einer Erneuerung der Außenpolitik ist in hohem Maße durch Fehlwahrnehmungen, Feindbilder und einen innenpolitisch bedingten Fokus bestimmt, der durch die Reduzierung komplexer Sachverhalte auf scheinbar klare Grundlinien äußerst gefährlich in Krisensituationen und nicht zuletzt durch substantielle und oft kaum wieder einholbare Fehlentwicklungen in deren Vorfeld gekennzeichnet ist. 

Wenn solche Vorstellungen durch die Anstellung als Beraterin dann Eingang ins Auswärtige Amt finden, wo Lunz zwei Jahre noch unter Heiko Maas tätig war, ist dies ein weiteres Indiz für das weitgehende Versagen deutscher Außenpolitik. Dann geben dort wie in diesem Buch Moralismus, ungenierte Oberflächlichkeit und Verpönung von Sachkenntnis statt harter, unerwünschter und nicht ins Bild passender Fakten den Ton an. Hier geht es um Interessen, und die sind weder männlich, weiblich noch divers. Spätestens Putins Ukraine-Krieg sollte jeden von solch naiven Hingespinsten aus Astrid Lindgrens Kinderwelt Bullerbü befreien.

Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen. Weltpolitik im 21. Jahrhundert: Frieden & Gesundheit, Menschenrechte & Klimagerechtigkeit für alle überall. Econ Verlag, Berlin 2022, gebunden, 448 Seiten, 22,99 Euro