© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/22 / 25. März 2022

Frisch gepreßt

Bildungskritik. Erziehungswissenschaftler, deren Konzepte Schule und Unterricht in Deutschland formen, fühlen sich von vier multimedial einflußreichen „populistischen“ Kritikern, allesamt Laien auf pädagogischem Gebiet, herausgefordert: dem TV-Philosophen Richard David Precht, dem Jugendpsychiater Michael Winterhoff, dem Hirnforscher Gerald Hüther und dem Historiker Michael Hüter. Deren auflagenstarke Bücher und Omnipräsenz im Netz künden für den Sozialpädagogen Robert Wunsch (Münster/Bochum) und die Schulentwicklungsberaterin Imgard Monecke (Münster) von einer beängstigenden Resonanz bei Eltern und sogar bei Lehrern, die sie fürchten läßt, solche Skandalisierung des desolaten Schulsystems könnte zur Grundlage politischen Handelns werden und ein Zurück zur „lehrerzentrierten Schule der 1960/70er“-Jahre“ einläuten. Abgesehen von der billigen Polemik des ein „Bundesministerium für politische Bildung“ erfindenden Prologs, der für die „Dramatisierung der Lage“ „Rechtspopulisten“ verantwortlich macht, setzen sich die Autoren weitgehend sachlich und fair mit den Vorwürfen auseinander. Obwohl die Tendenz erkennbar ist, zu bestreiten, daß Precht & Co. „tatsächlich vorhandene Mißstände“ beklagen. (wm) 

Robert Wunsch, Irmgard Monecke: Pädagogischer Populismus, Verlag Beltz Juventa, Weinheim 2022, broschiert, 129 Seiten, 16,95 Euro





Glücksterror. „Lächle und die Welt lächelt zurück“ – derartige Weisheiten haben Konjunktur. Neben den allgemeinen Weltuntergangsszenarien ist der Drang zur Selbstverbesserung und das persönliche Streben nach Glück einer der Wachstumsmärkte. Ob Buch, Podcast oder Wochenendseminar – zahlreiche Menschen wollen, daß sich jeder gut fühlt. Nicht aber die Politologin Juliane Marie Schreiber. Sie feiert mit ihrer  „Rebellion gegen den Terror des Positiven“ das negative Denken. Mit Karl Marx erklärt sie, warum Unzufriedene die Welt öfter weiter entwickelt haben als Glückliche. Sie zieht die Linie vom persönlichen Glücksstreben zum politischen Problem. Jeder weiß schließlich seit ’68: Das Private ist politisch. Sie ist überzeugt, daß der „Glücksterror“ politische Probleme auf die psychische Ebene verlagert und damit den einzelnen für sein Schicksal komplett verantwortlich macht. Im Kapitel „Schöner Schimpfen“ rät sie, seinem Ärger freien Lauf zu lassen, denn: „Schimpfen wirkt wie verbales Morphium.“ Mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci erläutert die Autorin, Optimismus sei oft eine Verteidigung der eigenen Faulheit und Verantwortungslosigkeit. Denn: Zum Leben gehört Negativität dazu. Ebenso aber die Freiheit, „Nein“ und „Ich möchte lieber nicht“ zu sagen. (hm)

Juliane Marie Schreiber: Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven. Piper Verlag, München 2022, broschiert, 208 Seiten, 16 Euro