© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Eine Siegerin, viele Verlierer
Landtagswahl: Die SPD kann mit absoluter Mehrheit regieren / CDU muß in die Opposition / AfD als einzige „kleine“ Partei im Landtag
Christian Schreiber

Die erste von vier Landtagswahlen in diesem Jahr endete für die CDU mit einer historischen Schlappe. Abgestürzt auf unter 30 Prozent, verloren die Christdemokraten nicht nur den Ministerpräsidenten-Posten im Saarland, sondern mit Tobias Hans, 44, auch einen Politiker, den viele für einen Neuaufbau der Partei in der Ära nach Angela Merkel auf dem Zettel hatten. Zwar verteilte Parteichef Friedrich Merz noch am Morgen nach dem Desaster eifrig verbale Blumen und äußerte die Hoffnung, Hans würde nicht gänzlich aus der Politik ausscheiden, doch wenige Stunden später schafften die „lieben Parteifreunde“ an der Saar Fakten. Hans wird den Landesvorsitz der Saar-CDU abgeben, als Nachfolgekandidaten werden der bisherige Landtagspräsident Stephan Toscani und der scheidende Finanzminister Peter Strobel gehandelt. Ob einer von beiden auch den Fraktionsvorsitz übernehmen oder ob der eher in jüngere Hände gelegt wird, ist noch offen. 

Wahlen im kleinsten Flächenland der Republik hatten schon immer ihre Besonderheiten, kleine Parteien tun sich dort schwer. Das war auch am Sonntag nicht anders. Vom Absturz der CDU, die mehr als zwölf Prozentpunkte verlor, profitierte die SPD, die um fast 14 Punkte zulegte und auf 43,5 Prozent der Stimmen kam. Die künftige Ministerpräsidentin wird Anke Rehlinger heißen. Die bisherige Wirtschaftsministerin konnte nicht nur der CDU Stimmen abluchsen, sondern auch vom Niedergang der Linkspartei profitieren. Die hatte zwischen 2009 und 2017 stabile zweistellige Ergebnisse eingefahren, was sie vor allem der Popularität ihres früheren Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine zu verdanken hatte. Der ehemalige SPD-Ministerpräsident war nach dem Wahlsieg seiner damaligen Partei im Jahr 1998 als Finanzminister nach Berlin gewechselt, aber hatte bereits ein halbes Jahr später das Handtuch geworfen. 

Seine Entfremdung von der SPD gilt bis heute als Ursache dafür, daß die Sozialdemokraten 1999 den Chefsessel in Saarbrücken an die Union abgeben mußten. Lafontaine, der später die Linke mitbegründete, war bis zuletzt deren Fraktionsvorsitzender im Saarbrücker Landtag, hatte sich aber mit der Parteimehrheit um den Landesvorsitzenden Thomas Lutze längst überworfen.

„Lafontaine hat uns maximal geschadet“

Daß „Oskar“ zum Ende der Legislaturperiode aus der Politik ausscheiden würde, stand länger fest, seinen Parteiaustritt nur eine Woche vor der Wahl hatten selbst seine Gegner nicht für möglich gehalten. Er hinterließ einen Landesverband in Trümmern. „Man wählt keine zerstrittenen Parteien“, bilanzierte die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, und der Bundestagsabgeordnete Lutze, von Lafontaine vor Wochen als „Betrüger“ bezeichnet, trat noch einmal nach: „Er hätte sich besser sein Fahrrad genommen und wäre eine Runde durchs Nordsaarland gefahren. Lafontaine hat uns maximal geschadet.“ 

In den westdeutschen Flächenländern ist die Linke nun nur noch im hessischen Landtag vertreten, außerdem in Bremen und Hamburg. Mit Lafontaines Rückzug verfügt die SPD nun wieder über eine dauerhafte Machtoption im Saarland. Durch das Scheitern der Linken und die Tatsache, daß den Grünen mit 4,99 Prozent ganze 23 Stimmen zum Landtagseinzug fehlten, kann Rehlinger nun sogar alleine regieren. Neben der arg zerrupften CDU sitzt nur noch die AfD im Landtag. 

Die hatte die Linkspartei in Sachen Streitigkeiten gar noch überboten. Eigentlich hatte sie eine Landesliste aufgestellt, angeführt von Generalsekretär Kai Melling. Doch vier Parteifunktionäre, darunter zwei Vorstände, zogen die Liste im Januar wenige Stunden vor Ablauf der Meldefrist ohne Absprache mit dem Rest der Partei zurück (JF 13/22). 

Gegen alle vier laufen nun Parteiausschlußverfahren. Aufgrund des speziellen Wahlrechts im Saarland fiel der Eklat nicht sonderlich ins Gewicht. Einer der „Putschisten“, Christoph Schaufert, zog über die Liste des Kreises Neunkirchen ins Parlament ein. Seine Mitgliedsrechte ruhen bereits. In Saarbrücken errang der frühere Parteichef Josef Dörr ein Mandat. Der 83jährige, der die bisherige Landtagsfraktion anführte, hat mittlerweile viele Gegner in der Partei und wurde kürzlich in erster Instanz ausgeschlossen. In der Landeshauptstadt verzichtete die AfD auf jegliche Form von Wahlkampf und schaffte es dennoch auf über fünf Prozent. Dritter im Bunde ist der Saarlouiser Carsten Becker, der als erbitterter Gegner Dörrs gilt und von seinen Mitstreitern quasi verboten bekam, eine Fraktion mit „dem Alten“ zu bilden. 

Widersprüchliche Schlüsse aus dem Ergebnis in der AfD

„Wir sind ein Chaos-Haufen“, räumte auch der Bundestagsabgeordnete und kommissarische Landeschef Christian Wirth ein. Die 5,7 Prozent seien angesichts des „desolaten Zustands“ des Verbands ein Erfolg: „Wir haben eine stabile Stammwählerschaft.“ Man habe allerdings mehr erwartet, sagte Wirth am Montag vor Journalisten in Berlin. Noch im Januar rangierte die Partei im Saarland bei neun Prozent. Über die Hälfte der AfD-Wähler gaben an, sie aus Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt zu haben. Den Zuspruch bei Arbeitern und Zugewinne von ehemaligen Linken-Wählern wertete der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla als Signal für die Ausrichtung. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke forderte, solche Wähler mit „sozialpatriotischen Akzenten“ anzusprechen. Bundesvorstandsmitglied Joana Cotar meinte dagegen, die AfD könne mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein, es brauche eine „ehrliche Analyse“ und eine Politik, „die auch im Westen ankommt“. Widersprüchliche Schlüsse aus ein und demselben Ergebnis – nichts Ungewöhnliches in der Partei. Welches „Narrativ“ sich durchsetzt, dürfte Auswirkungen auf die Wahlen beim nächsten Bundesparteitag im Sommer haben. 

Von Stammwählern indes können die Liberalen an der Saar nur träumen. Erzielten sie bei der Bundestagswahl noch ein zweistelliges Ergebnis, scheiterten sie nun zum dritten Mal seit 2012 an der Fünfprozenthürde. Kein Wunder, daß Parteichef Christian Lindner, der in Berlin mitregiert, in auffälliger Übereinstimmung mit Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU am Montag nach der Wahl meinte, das Scheitern an der Saar liege an „regionalen Besonderheiten“.

Fotos: Wahlsiegerin Anke Rehlinger (M.): Profitieren vom Absturz der CDU und vom Zerfall der Linken; Verlierer und Noch-Ministerpräsident Tobias Hans (M.): Rücktritt vom CDU-Landesvorsitz