© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Ländersache: Berlin
Zoff am Abgrund
Ronald Berthold

In Berlin müssen es die Alten richten. Nachdem der 68jährige Felix Magath Hertha BSC vor dem Abstieg retten soll, greift die Landesregierung nun auf die noch einmal zehn Jahre ältere Herta Däubler-Gmelin (SPD) zurück, um den Koalitionsfrieden zu sichern. Die ehemalige Bundesjustizministerin wird die Kommission leiten, die den rot-rot-grünen Senat über die Enteignung von Immobilienunternehmen berät. Denn zwischen SPD, Grünen und Linken tobt ein Streit, ob und wie große Teile der Berliner Mietskasernen vergesellschaftet werden können.

Der Krach fängt bei der Zusammensetzung des zwölfköpfigen Gremiums an. Die drei Senatsparteien und die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“ entsenden je drei Mitglieder. Während Grüne und Linke Enteignungsbefürworter schicken, sollen die SPD-Vertreter zu „konservativ“ sein, wie die Aktivisten im Neuen Deutschland kritisieren. Sie fordern: „Keine Immobilien-Lobbyisten!“

Allerdings konnten sie sich noch nicht auf ihre Delegation einigen. Bausenator Andreas Geisel (SPD) verspricht, die Plätze so lange freizuhalten, bis die persönlichen Eitelkeiten in der Initiative ausgefochten sind. Anders als suggeriert, soll das Gremium nach dem Willen von Linken und Grünen offenbar nicht ergebnisoffen diskutieren, sondern politisch agieren. Das aber will Geisel verhindern, was ihm wiederum den Zorn der anderen drei Gruppen einbringt.

Nach jetzigem Stand werden also neun von zwölf Kommissionsmitgliedern die Enteignung der Unternehmen fordern. Doch das reicht den Aktivisten nicht. Aus ihrer Sicht müßten alle zwölf den Sozialismus wieder einführen wollen. Man möchte ein einstimmiges Votum erzwingen, das dem Senat keine Chance läßt, den Volksentscheid nicht umzusetzen. Gleichzeitig mit der Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl hatten im vergangenen September 57,6 Prozent das Referendum unterstützt. Ein Jahr soll die Kommission beraten und dann ein Votum abgeben. Sollte der Senat dann die Enteignungen beschließen, kämen auf die ohnehin chronisch überschuldete Hauptstadt mindestens 30 Milliarden Euro Entschädigungskosten zu. 

Allerdings zweifelt inzwischen ein Gutachten an, ob für diesen Preis die Wohnungen überhaupt zu bekommen sind. Denn das würde bedeuten, daß man, wie die Initiative fordert, die Vermieter unter Marktpreis enteignet. Doch das sei verfassungswidrig, analysiert der Professor für Immobilienrecht, Jürgen Kühling, in seinem Gutachten. Das Vorhaben bezeichnet er als „Tanz am verfassungsrechtlichen Abgrund“. 

Der Jurist sieht keine Voraussetzungen für eine grundgesetzkonforme Enteignung in Berlin gegeben. Denn dieses letzte Mittel dürfe nur eingesetzt werden, wenn die Unternehmen marktbeherrschend seien und ihre Macht anders nicht gebrochen werden könne. Dies sei in Berlin aber nicht der Fall. Das habe das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt. Es könnte also sein, daß Herta Däubler-Gmelins Einsatz und all ihre Lebenserfahrung gar nicht nötig sind, um die Koalition zusammenzuhalten. Denn friedensstiftend kann ein gemeinsamer Feind wirken. Und der wäre dann Karlsruhe.