© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

So wird das nix
Impfpflicht: Kommende Woche stimmt der Bundestag ab
Jörg Kürschner

Deutschland könnte zum einzigen Land in der EU mit einer allgemeinen Impfpflicht werden, wenn der Bundestag am Donnerstag kommender Woche in einer abschließenden, etwa 70minütigen Debatte über fünf konkurrierende Anträge abstimmt. Der Ausgang ist offen, da sich auch nach einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuß eine Mehrheit für eine der Vorlagen bisher nicht abzeichnet. Die Gesetzesentwürfe zweier Ampel-Parlamentariergruppen sowie die Vorlage der Union sehen für Impfverweigerer ein Bußgeld, nicht aber Erzwingungshaft vor, zwei andere Anträge lehnen eine Impfpflicht kategorisch ab.

Am Ende einer aufgeheizten, von zahlreichen Protestdemonstrationen geprägten, zum Teil auch skurrilen Debatte spaltet das Thema Impfpflicht nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Parlament. Am weitestgehenden ist der Entwurf von ursprünglich sieben Abgeordneten der SPD, FDP und Grünen, der eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren vorsieht. Danach sollen alle Erwachsenen persönlich angesprochen und von den Krankenversicherungen über Beratungs- und Impfmöglichkeiten informiert werden. 

Die Parlamentarier, darunter die Politiker Dirk Wiese (SPD) Janosch Dahmen (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) argumentieren, eine allgemeine Impfpflicht werde rechtzeitig vor dem kommenden Winter eine hohe Grundimmunität aufbauen, womit sich die drastischen Freiheitseinschränkungen der vergangenen zwei Jahre erübrigen würden. Die Impfpflicht solle ab 1. Oktober gelten und bis zum Jahresende 2023 befristet werden. Ausgenommen sollen Menschen werden, die dauernd oder vorübergehend nicht immunisiert werden können sowie Schwangere in den ersten drei Monaten. Mit einer dreimaligen oder alternativ mit einer zweimaligen Impfung und einer überstandenen Infektion wäre der Impfnachweis erbracht. Wer am 1. Oktober nicht vollständig geimpft ist, muß dann mit einem Bußgeld rechnen. Erzwingungshaft schließt der Gesetzentwurf ausdrücklich aus, der inzwischen von 233 Abgeordneten, darunter Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), unterstützt wird.

In einem weiteren Antrag plädieren derzeit 41 Ampel-Parlamentarier für eine altersbezogene Impfpflicht ab 50 Jahren, die bei Verweigerern ebenfalls per Zwangsgeld, nicht aber mit Gefängnis durchgesetzt werden soll. Ihrer Auffassung nach beruht die Überlastung des Gesundheitswesens vorrangig auf Erkrankungen von über 50jährigen. Die ebenfalls bis Ende 2023 geltende Impfpflicht soll „unter Vorbehalt einer Bewertung der Situation im Herbst 2022“ stehen. Mit diesem Konzept wollen die Unterstützer, darunter Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), Brücken bauen zu anderen Anträgen. 

Die Unionsfraktion hat auf die Formulierung eines eigenen Gesetzentwurfs verzichtet, fordert vielmehr die Regierung auf, ein Impfvorsorgegesetz vorzulegen. Der Antrag sei von ihren knapp 200 Mitgliedern „fast einstimmig“ gebilligt worden. Abhängig von der künftigen Pandemielage soll ein „gestufter Impfmechanismus“ in Gang gesetzt werden. Darin ist auch eine mögliche Impfpflicht für besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen vorgesehen. Verweigerern droht ein Bußgeld. Zunächst soll aber ein Impfregister aufgebaut werden, damit klar wird, wer überhaupt geimpft ist und wer nicht. „Wir wissen viel zu wenig über die Situation im Herbst, um uns jetzt final für oder gegen eine Impfpflicht zu entscheiden“, sagt der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann. Dessen Fraktionskollege Sepp Müller wagte in der ersten Lesung im Bundestag kürzlich die Prognose: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Impfpflicht tot.“

Genügend Papier, um jeden anzuschreiben?

Bereits zu einem frühen Zeitpunkt der öffentlichen Debatte hatte sich der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki gegen eine allgemeine Impfpflicht positioniert. Zusammen mit rund 50 Kollegen lehnt der Initiator Impfungen nicht ab, doch müßten diese freiwillig bleiben. Da es sich bei einer Impfung um Eingriffe in Grundrechte handele, sei eine behutsame und ausgewogene staatliche Reaktion eine „verfassungsrechtliche Notwendigkeit“, um die Pandemie nachhaltig zu bekämpfen. Nach zwei Jahren habe sich entgegen ursprünglichen Erwartungen gezeigt, daß die Impfung nicht verläßlich vor einer Ansteckung oder der Ansteckung anderer Menschen schütze. „Der Bundestag kann eine allgemeine Impfpflicht nicht beschließen, solange er nicht einmal die Häufigkeit der mit der Pflicht verbundenen Schutzimpfungen kennt“, heißt es in dem Antrag, der von Abgeordneten der FDP, Grünen, aber auch von zahlreichen Parlamentariern der Linken wie etwa Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht und einer der CDU – der Brandenburgerin Jana Schimke – befürwortet wird. SPD-Politiker haben den Antrag nicht unterschrieben, wohl aus inhaltlichen Gründen. AfD-Vertreter sucht man vergeblich, obwohl die Fraktion auch einen Antrag gegen eine Impfpflicht eingebracht hat. Das politische Quarantäne-Regime gegenüber der Fraktion wird im Bundestag auch bei Gewissensentscheidungen strikt eingehalten, die Ampel-Politiker, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), für sich beanspruchen. 

Rechtliche Bedenken macht also auch die AfD geltend, in ihrer Diktion allerdings entschiedener („grundgesetzwidrig“) als die Gruppe um Bundestagsvizepräsident Kubicki. Ausdrücklich beruft sich die AfD auf den Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek, der „in einer Impfpflicht einen Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie nach Artikel 1 des Grundgesetzes“ erkennt. Mögliche Langzeitrisiken der neuartigen Covid-19- Vakzine seien noch nicht systematisch ermittelt worden. „So kämen massenhafte Impfungen einem ‘medizinischen Humanexperiment’ gleich“.  Im Bundestag sprach der AfD-Abgeordnete Martin Sichert von „Realsatire“, da im Bundestagspräsidium vier von sechs Mitgliedern an Corona erkrankt seien und der Bundestag „trotz dieser offensichtlichen Unwirksamkeit über eine Impfpflicht diskutiert“. Alleinstellungsmerkmal des AfD-Antrags ist die Forderung, die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Krankenhäuser und Altenheime wieder abzuschaffen.

Nach dem Bundestag müßte auch der Bundesrat der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zustimmen. Ob diese bis zum Herbst organisatorisch umgesetzt werden kann, war während der Expertenanhörung von Verbänden bezweifelt worden. Für Wirbel sorgte etwa eine Stellungnahme des Verbands der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der in Frage stellte, ob überhaupt genügend Papier für die Anschreiben von 60 Millionen Betroffenen beschafft werden könne.

 Kommentar Seite 2

Foto: Demonstration in Tübingen gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht: Nicht verläßlich