© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Wenn Wünsche auf die Realität treffen
Folgen des Kriegs in der Ukraine: Innenministerin Nancy Faeser scheitert mit ihrem Plan, Flüchtlinge nach Quoten in der EU zu verteilen
Florian Werner

Mehr als einen Monat nach Kriegsausbruch kommen nach wie vor Tausende Ukrainer pro Tag in Deutschland an. Viele Menschen melden sich freiwillig, um bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge zu helfen. Doch die Probleme wachsen mit den steigenden Ankunftszahlen. 

Wie das Bundesinnenministerium mitteilte, sollen sich inzwischen bereits mehr als 270.000 Kriegsflüchtlinge im Land aufhalten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich deshalb für eine EU-weite Verteilungsquote für Flüchtlinge aus der Ukraine ausgesprochen. Mit diesem Vorstoß ist die Sozialdemokratin unlängst auf einem Treffen der EU-Innenminister gescheitert. „Ich hätte mir verbindlichere Regelungen gewünscht und werde jetzt einfach pragmatisch handeln, damit wir zu einer besseren Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU kommen“, erläuterte Faeser in der ARD. Deutschland arbeite in diesem Zusammenhang eng mit Frankreich und Polen zusammen. Unter anderem Schweden hatte sich gegen eine solche Quote gewehrt. Die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Anderson erläuterte, ihr Land habe bereits während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 einen Großteil der Flüchtlinge aufgenommen. „Das können wir in diesem Ausmaß nicht noch einmal tun“, mahnte die Politikerin. Statt der verbindlichen Quote hatte die EU-Kommission daher einen Index auf freiwilliger Basis ins Spiel gebracht, der anzeigen soll, wie sehr die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten mit der Flüchtlingsaufnahme ausgelastet sind. Laut Angaben der Vereinten Nationen befinden sich mittlerweile fast vier Millionen Ukrainer auf der Flucht – annähernd ein Zehntel der ukrainischen Gesamtbevölkerung.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat indes auf weitaus höhere Flüchtlingszahlen eingestimmt. „Wir müssen uns darauf einstellen, daß acht bis zehn Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine kommen. Und wir werden sie alle aufnehmen“, beteuerte die Politikerin am Samstag auf einem Parteitag der Grünen in Brandenburg.Wie viele Ukrainer längerfristig in Deutschland bleiben werden, ist dabei noch unklar. „Sind schon in der Jugoslawienkrise 50 Prozent der Geflüchteten nicht in ihre Heimat zurückgekehrt, so wird das jetzt auch nicht anders sein“, teilte etwa die Berliner Gewerkschaft der Polizei in einem offenen Brief an die Parlamentarier im Abgeordnetenhaus der deutschen Hauptstadt mit. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) äußerte sich ähnlich. „Wir müssen der Tatsache ins Auge schauen, daß die Menschen länger in Deutschland bleiben, als sie es aktuell wollen und planen“, betonte der Christdemokrat.

Schnelle Rückkehr gilt als unwahrscheinlich

Ob den hierzulande ankommenden Ukrainern allerdings der Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt gelingt, ist fraglich. „Wir dürfen nicht gleich erwarten, daß jemand, der vor dem Krieg geflohen ist, nach einer Woche schon einen Job hat“, unterstrich der Wirtschaftswissenschaftler Holger Bonin vom Bonner Institut für die Zukunft der Arbeit gegenüber der Welt. Man dürfe sich in diesem Zusammenhang keinerlei Illusionen hingeben. Kurzfristig würden die Flüchtlinge aus der Ukraine den deutschen Fachkräftebedarf nicht stillen. Dabei spiele auch die fehlende Anerkennung ukrainischer Berufsausbildungen und Studienabschlüsse in Deutschland eine Rolle. Es könne nicht sein, daß Ärzte aus der Ukraine erst langwierige Zusatzqualifikationen in Deutschland erwerben müßten, um ihrem Beruf nachzugehen.

Derweil mehren sich die Vorwürfe gegenüber Bundesinnenministerin Faeser, sie handhabe die erkennungsdienstliche Behandlung der Ukrainer an den deutschen Grenzen nicht streng genug. Faeser hatte sich zuletzt erneut geweigert, Flüchtlinge polizeilich zu erfassen. Widerspruch für ihre Haltung erhielt sie unter anderem vom CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor. „Ich finde schon, wir müssen auch wissen, wer in unser Land kommt“, sagte der Parlamentarier im Gespräch mit der Welt. Natürlich stellten ukrainische Frauen, Kinder und Alte die überwiegende Mehrheit der Geflohenen. Es könne aber nicht sein, daß Menschenschmuggler am Ende die Nutznießer der schrecklichen humanitären Situation in der Ukraine werden.