© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Plötzlich überholt der Linke
Frankreich: Jean-Luc Mélenchon kommt wie ein Phönix aus der Asche
Friedrich-Thorsten Müller

Nicht mehr lange bis zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich am 10. April. Außer dem amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und seiner zur Zeit aussichtsreichsten Herausforderin, Marine Le Pen, streiten zehn weitere Kandidaten um das höchste Staatsamt. Und das Bewerberfeld sortiert sich immer wieder neu. Die Besonderheit dieses Wahlkampfes ist ohne Frage die Bewerbung des Fernsehjournalisten und Polemikers Eric Zemmour. Der 63jährige Sciences-Po-Eliteuni-Absolvent und Sohn algerienstämmiger Juden gilt mit seiner einwanderungskritischen Haltung als „enfant terrible“ und Rechtsaußen des Wahlkampfes. 

Am Tag der Bekanntgabe seiner Kandidatur äußerte er, keinen Unterschied mehr zwischen Islam und Islamismus machen zu wollen, „da es keinen gäbe“. Außerdem taufte er seine Partei „Reconquête“, ein Name, der auf die Rückeroberung Spaniens von den Arabern anspielen soll. Mit in den Meinungsumfragen zeitweilig bis zu 18 Prozent der Stimmen wurde er in den letzten Monaten immer wieder sogar vor Marine Le Pen in der Stichwahl gesehen. Zuletzt fiel er aber aufgrund früherer Putinnähe und von Vorwürfen durch acht Frauen wegen „unangemessenen Verhaltens und sexueller Übergriffe“ deutlich, auf nur noch etwa zehn Prozent, zurück. 

Das Interesse an ihm bleibt aber faszinierend groß. In Paris versammelten sich am Sonntag Zehntausende Anhänger am Trocadéro-Platz, bis zu sieben Millionen verfolgten den Auftritt zumindest zeitweise im Fernsehen und über die sozialen Medien. Insbesondere bei jüngeren Wählern und beruflich Erfolgreichen, denen Le Pens RN zu „sozialistisch“ erscheint, kann Zemmour punkten.

Zeitweilig in Umfragen mit bis zu 17 Prozent ebenfalls auf Augenhöhe oder sogar vor der Vorsitzenden des RN, kandidiert für die frühere Präsidentenpartei „Republikaner“ mit Valérie Pécresse erstmals eine Frau. Die 54jährige frühere Ministerin und aktuelle Präsidentin des Regionalrats der Hauptstadt-Region Île-de-France galt lange als gefährlichste Herausforderin Emmanuel Macrons. Schließlich hatte sie das Potential, in der Stichwahl auch Wählerschichten anzusprechen, die niemals einen Rechtsaußenkandidaten wählen würden. Zuletzt fiel aber auch sie in den Umfragen auf nur noch zehn Prozent der Stimmen ab, da es ihr erkennbar schwerfällt, in der aktuellen Kriegssituation ihren Platz zwischen einer dank der Kandidatur Zemmours milder erscheinenden Le Pen und dem mit Amtsbonus ausgestatteten Macron zu finden.

Entsprechend kristallisiert sich im März immer mehr der Linke Jean-Luc Mélenchon als stärkster Rivale Marine Le Pens um den Stichwahleinzug heraus. Der 71jährige schillernde Polit-Haudegen und Gründer der Linksaußen-Partei LFI („Das nicht unterworfene Frankreich“) kandidiert zum dritten Mal. Der frühere Minister sowie Senator vereint in Umfragen mit bis zu 15 Prozent aktuell mehr Stimmen auf sich als das gesamte sonstige rot-grüne Lager zusammen. 

Der grüne Kandidat Yannick Jadot hat keinerlei Chance  

Er setzt sich massiv für Umverteilungen zwischen Arm und Reich ein und für die Rente mit 60. Er konkurriert dadurch mit Marine Le Pen um wichtige Milieus in den unteren Einkommensklassen, ohne deren strikter Einwanderungspolitik oder Unterstützung der Atomkraft das Wort zu reden. Insbesondere der Kandidatin der früheren sozialistischen Präsidentenpartei, Anne Hidalgo, hat er damit aber quasi komplett das Wasser abgegraben: Keine Umfrage sieht die Pariser Bürgermeisterin aktuell bei mehr als drei Prozent. 

Damit werden den beiden SPD und CDU/CSU vergleichbaren Altparteien Sozialisten und „Republikaner“ in Frankreich für den ersten Wahlgang zusammen kaum mehr als 13 Prozent der Stimmen zugetraut. Bis zum Aufstieg Emmanuel Macrons und der „Entteufelung“ Marine Le Pens konnten die beiden Parteien und ihre Bündnispartner für Jahrzehnte mit zusammen über der Hälfte der Stimmen und dem fast sicheren Stichwahleinzug rechnen.

Auch der Grünen-Kandidat Yannick Jadot bewegt sich mit vier bis sieben Prozent in einem überschaubaren Korridor. Während die französischen Grünen in Sachen „Willkommenskultur“ und Atomausstieg sehr ihrer deutschen Schwesterpartei ähneln, sind die französischen Wähler diesbezüglich sehr „kaufkraftorientiert“ und entsprechend skeptischer. 

Allerdings rächt sich hier auch die Zerstrittenheit des linken Lagers, dem es nicht gelungen ist, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.

Marine Le Pens Wahlkampf und deren Aussichten werden in der kommenden JF beleuchtet

Foto: Valérie Pécresse (o.l.), darunter Jean-Luc Mélenchon und Eric Zemmour (o.r.): Macrons Herausforderer haben das Lächeln nicht verlernt