© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Ziviler Ungehorsam für unser Essen
Agrarmarkt: Durch den Ukraine-Krieg drohen Versorgungsengpässe und globale Hungersnöte / Grüne „4“ gegen Flächenstillegungen
Christian Schreiber

Durch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU soll auf mindestens vier Prozent des bisherigen Ackerbodens nichts angebaut werden. Diese angeblich ökologische Flächenstillegung wird ab 2023 zur Voraussetzung für die Auszahlung der EU-Agrarunterstützung. Der Acker muß der Selbstbegrünung überlassen werden. Selbst eine Beweidung durch Schafe und Ziegen ist erst ab August des Folgejahrs möglich. Ausgenommen vom Stillegungszwang sind nur Höfe mit weniger als zehn Hektar Ackerland und Landwirte mit mehr als 75  Prozent Grünland. Das hieße, daß die Ackerflächen von Portugal, Österreich, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg schon ab kommenden Herbst nicht mehr genutzt werden dürfen.

„Das sind zusammen rund 4,22 Millionen Hek­tar oder sechs Millionen Fußballfelder“, warnt Willi Kremer-Schillings, der einen 40-Hektar-Hof bewirtschaftet und seit 2015 als „Bauer Willi“ (JF 15/16) gegen die realitätsferne deutsche und europäische Agrarpolitik bloggt. Doch mit dem Ukraine-Krieg fallen zwei wichtige Lebensmittellieferanten aus: „Auf die Ukraine entfallen zehn Prozent des weltweiten Weizenmarkts, 13 Prozent des Marktes für Gerste und 15 Prozent des Maismarktes, und mit 50 Prozent ist das Land der wichtigste Akteur auf dem Markt für Sonnenblumenöl“, warnt die EU-Kommission. „In bezug auf Rußland liegen diese Werte bei 24 Prozent (Weizen), 14 Prozent (Gerste) bzw. 23 Prozent (Sonnenblumenöl)“.

Die Flächenstillegung sei angesichts der „vorhersehbaren Hungerkrise in vielen armen Ländern der Welt ein nicht erklärbarer Wahnsinn“, so der 67jährige Agraringenieur aus dem Rheinland, der von der Bauerninitiative „Land schafft Verbindung“ unterstützt wird. Mit dem EU-Durchschnittsertrag von 6,1 Tonnen pro Hektar Weizen können auf dieser Stillegungsfläche 25,7 Millionen Tonnen Weizen erzeugt werden: Der Importbedarf von Ägypten, Marokko, Tunesien, Algerien und Äthiopien beträgt jährlich 28,5 Millionen Tonnen: „Wir Landwirte kündigen hiermit öffentlich den zivilen Ungehorsam an, indem wir uns an diese Vorschrift nicht halten werden. Wir werden gegen das Gesetz auf all unseren Ackerflächen somit illegal Lebensmittel anbauen. So lange, bis sich die Ernährungssituation wieder normalisiert hat.“

Daher steht nun auf zahlreichen Feldern und Wiesen eine hölzerne grüne „4“, eine Fortsetzung der 2019 gestarteten „Aktion Grüne Kreuze“ gegen das Agrarpaket der Merkel-Regierung. Auch auf Autos und Traktoren soll eine grüne „4“ geklebt werden. Und Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski hat vorige Woche teilweise eingelenkt: „Die EU ist eine Agrar-Großmacht, und wir werden dafür sorgen, daß unsere Bauern die volle Unterstützung der Kommission erhalten, um dem weltweiten Nahrungsmittelbedarf gerecht zu werden“, erklärte der Politiker der polnischen Regierungspartei PiS. Im Rahmen des neuen „Europäischen Mechanismus zur Krisenvorsorge und Krisenreaktion im Bereich der Ernährungssicherheit“ (EFSCM) werde nun eine „Bestandsaufnahme der Risiken und Schwachstellen der EU-Lebensmittelversorgungskette durchgeführt“.

„In Krisenzeiten darf es Ausnahmeregelungen geben“

Zunächst gebe es nun ein Hilfspaket von 500 Millionen Euro zum Ausgleich höherer Betriebsmittelkosten (Diesel, Düngemittel, Erdgas, Strom) und der Sanktionswirkungen. Den Löwenanteil des Geldes bekommen Frankreich (89,3 Millionen), Spanien (64,5), Deutschland (60,1), Italien (48,1), Polen (44,8), Griechenland (26,3) und Rumänien (25,5). Es gebe höhere Vorschüsse für EU-Direktzahlungen und „Marktstützung für den Schweinefleischsektor, der sich in einer besonders schwierigen Lage befindet“. Und eine „befristete Ausnahmeregelung“ erlaube nun die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen auf Brachflächen, so die EU-Kommission. Dies werde „die Produktionskapazität der EU trotz der begrenzten Verfügbarkeit fruchtbarer Flächen erhöhen“.

Das widerspricht klar dem „Green Deal“ der EU und provoziert Natur- und Klimaschützer: „Statt intensive Landwirtschaft und weniger Ökologie braucht es mehr resiliente Agrarökosysteme“, erklärte beispielsweise Olaf Bandt, Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die Agrarbranche müsse „unabhängiger von fossilen Energien und synthetischem Dünger werden. Um Flächen für die Produktion von Getreide auszubauen, müssen wir runter vom Fleischkonsum und dem Flächenfraß durch Futtermittelanbau“, so der seit 30 Jahren beim BUND beschäftigte Fachschulingenieur. Der Einsatz von Stickstoffdünger müsse um 20 Prozent verringert und durch „energieeffizienteren organischen Dünger“ ersetzt werden.

Agrarminister Cem Özdemir ist aber bislang nur bereit, Brachflächen für den Getreideanbau freizugeben. Dies hatte die EU-Kommission in der vergangenen Woche in ihrem Aktionsplan zur Lebensmittelsicherheit den EU-Staaten eingeräumt. Damit stellt der Grünen-Politiker die deutschen Bauern schlechter als zum Beispiel Österreich. Dort hat die zuständige Agrarministerin Elisabeth Köstinger angekündigt, Brachflächen für den Anbau aller Kulturen freizugeben. Den EU-Vorschlag, die Produktion auch auf ökologischen Vorrangflächen und mit Pestiziden zuzulassen, sei zu weitgehend: „Auch wenn der Ukraine-Krieg zu Recht im Fokus steht, darf man nicht vergessen, daß die Bekämpfung von Klimakrise und Artensterben keinen Aufschub mehr erlaubt“, so das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

Die Agrarsprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag, Gisela Sengl bewies mehr Realitätssinn: „In Krisenzeiten darf es Ausnahmeregelungen geben, deshalb halte ich es auch für vertretbar, die ökologischen Vorrangflächen in diesem Jahr für den Anbau zu nutzen“, meinte die 61jährige gelernte Landschaftsgärtnerin. Die Stillegungsflächen dürften aber nicht angetastet und „Strategien wie Farm to Fork und der Ausbau des Ökolandbaus“ müßten weiterhin gefördert werden, so Sengl, die mit ihrer Familie einen Biohofladen im oberbayrischen Sondermoning betreibt. Mit „Farm to Fork“ soll die Lebensmittelproduktion nachhaltiger gestaltet werden – allerdings verbunden mit einem Produktionsrückgang von etwa 13 Prozent.

Bauer Willi Kremer-Schillings kann darüber nur den Kopf schütteln: Wer fordere, die Tierhaltung in Deutschland zu halbieren, „sollte sich im klaren darüber sein, daß dann auch die Selbstversorgung von Milch und Fleisch der Geschichte angehört. Wir würden auch hier zum Importland“. Und der Rat von Minister Özdemir, man solle „doch statt Kunstdünger mehr Mist und Gülle verwenden“, sei zynisch, denn bei weniger Tierhaltung gehe die Menge an organischem Dünger zwangsläufig zurück. „Ob diese Widersprüche im BMEL bisher noch niemandem aufgefallen sind?“

EU-Plan zur weltweiten Ernährungssicherheit:

 ec.europa.eu

 www.bauerwilli.com

Foto: Bauer auf Getreidefeld: Dringend notwendige Bestandsaufnahme der Risiken und Schwachstellen der EU-Lebensmittelversorgungskette