© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Krisengewinner Turkish Airlines
Luftfahrtbranche: Kerosinpreis und Ukraine-Krieg verhindern die Erholung nach dem Corona-Absturz
Fabian Schmidt-Ahmad

Vorigen Sonntag endete nicht nur die Winterzeit, sondern es startete auch der Sommerflugplan. Beim Hauptstadtflughafen BER öffnete das zweite Terminal, und es geht Nonstop nach Doha, Dubai, New York und Singapur. „Wir sind auf dem Weg zu einem Flugbetrieb, wie wir ihn aus der Zeit vor der Pandemie kennen“, erklärte Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Luftverkehrsverbands BDL. Das Sitzplatzangebot zu Europa-Zielen erreiche wieder 89 Prozent des Vorkrisenniveaus, interkontinental seien es 79 Prozent. Der inländische Luftverkehr biete aber nur 68 Prozent des Angebots des Jahres 2019.

Allerdings: Im Sommerflugplan 2019 gab es 180,4 Millionen Sitzplatzangebote – nun 26,7 Millionen weniger. Das mag Greta, Luisa & Co. freuen, das heißt aber auch: Die deutsche Luftfahrtbranche trudelt in ihre nächste Krise, Tausende der etwa 825.000 Arbeitsplätze sind damit bedroht. Kaum ging es nach Lockerung der Corona-Beschränkungen wieder aufwärts, hat der Ukraine-Krieg die Kalkulationen durcheinandergewirbelt: „Die deutlich steigenden Treibstoffpreise werden nicht ohne Folgen für die Flugpreise bleiben“, warnt der BDL-Chef – und das dürfte nicht nur ärmere Passagiere im In- und Ausland abschrecken.

Um bis zu 50 bis 60 Prozent stiegen die Kerosinkosten in den ersten Tagen nach dem russischen Einmarsch, klagte Ralf Teckentrup, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Fluggesellschaften (BDF), bei einer Anhörung des Tourismusausschusses im Bundestag. Und der Treibstoffverbrauch ist nach den hohen Flughafengebühren der wichtigste Kostenfaktor bei den Airlines. Und nachdem die EU zusammen mit den USA den Luftraum für russische Maschinen sperrte, konterte der Kreml seinerseits mit einem totalen Überflugverbot. Und Moskau, Minsk oder Sankt Petersburg sind nur noch über den Umweg Istanbul erreichbar.

Flugroute nach China, Südkorea und Japan ging über Rußland

Das mag verzichtbar sein, doch ein Blick auf den Globus zeigt: Auch die direkte Flugroute nach China, Südkorea und Japan geht über Rußland. Nun muß die Lufthansa Tausende Kilometer weite Umwege entlang der Grenzen des Putin-Reichs einplanen. Das verärgert nicht nur Kunden, die zwei Stunden länger unterwegs sind, sondern das erhöht drastisch den Kerosinverbrauch. Laut dem BDL verlängern sich die Flugrouten um bis zu 28 Prozent. Sollte das russophile Kasachstan seinen Luftraum gleichfalls sperren, würde das einen Umweg von weiteren 30 Prozent bedeuten.

Besonders betroffen von dieser Entwicklung ist auch der Luftfrachtverkehr. Zwar steht hier der Zeitfaktor nicht so stark im Vordergrund, jedoch macht sich die schwindende Nutzlast stark bemerkbar. Denn je mehr Kerosin getankt werden muß, desto mehr Fracht bleibt zwangsläufig am Boden. Damit nähert sich das eingesetzte Flugzeug schnell jener Grenze, wo es noch effizient eingesetzt werden kann. Zumal Lufthansa, Air France, British Airways oder KLM harte Konkurrenten in Ländern haben, die neutral bleiben.

Anders als bei den Corona-Maßnahmen, die mehr oder weniger alle Fluglinien gleich trafen, gibt es nun klare Krisengewinner: Die Türkei beteiligt sich nicht an der Luftraumsperre für russische Flugzeuge. Entsprechend kann Turkish Airlines (TK), weiterhin Ziele in oder über Rußland erreichen. Gleiches gilt für Serbien, das den EU-Boykott nicht mitträgt. Die Flüge Richtung Asien sind dadurch über den für 90 Millionen Passagiere ausgelegten Flughafen Istanbul oder Belgrad oft schneller – ein klarer Wettbewerbsvorteil. Schon im Corona-Jahr 2020 deklassierte TK mit 27,2 Millionen Passagieren die Lufthansa mit 16,2 Millionen Passagieren.

Auch die Golf-Airlines (Emirates, Etihad, Qatar Airways) bekommen zusätzlich Oberwasser. Nicht nur, daß sie Zugang zum russischen Luftraum haben. Aufgrund ihrer geographischen Lage weiter im Süden sind ihre Drehkreuze nicht betroffen. Und das günstige Kerosin in den Ölstaaten läßt den Weg über Nahost immer attraktiver erscheinen. Der BDL schätzte den Anteil europäischer Fluglinien beim Personenverkehr Richtung Ostasien bislang auf bis zu fünfzig Prozent. Das dürfte vorbei sein: „Die Zahl verkaufter Flugtickets von und nach Rußland über die europäischen Airports Belgrad und Istanbul sowie die Nahost-Drehkreuze Dubai und Abu Dhabi stieg um mehr als 200 Prozent“, meldete die Welt. Wenn zwei sich streiten, gibt es immer einen Dritten, der davon profitiert.