© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Heimatlos auf eigenem Hof
Musiktheater: Jaromír Weinbergers Volksoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ feierte Premiere an der Komischen Oper Berlin
Jens Knorr

Alles beginnt und endet auf heimischer Scholle unter blühender Linde. Die steht zum bösen Ende des ersten Akts ohne Blätter da und zum guten Schluß des zweiten in neuem Grün. Schwandas Bauernhof, eine kleine Wiese, die auch einfachen Holztisch, einfache Holzstühle tragen kann, treibt in leerem, dunklem Bühnenraum.

In seinem Garten liebt Schwanda seine Dorota, der jedoch der Räuber Babinsky aus der Linde herunter- und nachsteigt. Babinsky verführt Schwanda, seine Musik in klingende Münze zu verwandeln, gleich nebenan im Reich der Königin mit dem Eisherz. Schwandas Spiel bringt das Herz der Königin zum Schmelzen. Ihre Hochzeit vereitelt die nachgeeilte Dorota; die Hinrichtung Schwandas, von der betrogenen Königin befohlen, vereitelt Babinsky. Schwanda bringt sich durch eine Notlüge gegenüber Dorota in die Hölle und dorten durch Fahrlässigkeit um seine Seele. Ba-binsky bringt einen depressiven Teufel wieder zu seiner Berufung, Schwanda wieder zu Seele, Liebes- und Musizierlust und zurück in die Oberwelt, Hof und Frau – und nimmt sich aus dem Spiel der beiden heraus.

Das Libretto von Miloš Kareš nutzt ein Stück des tschechischen Dramatikers Josef Kajetán Tyl, der übrigens auch den Text der tschechischen Nationalhymne geschrieben hat. Das Stück um Švanda, den Sackpfeifer aus Strakonice und seine treue, tatkräftige Dorotka, das Motive und Figuren böhmischer Sagen aufgreift, hatte Jaromír Weinberger seit seiner Kindheit gekannt. Der Räuber Babinský aber hat wirklich gelebt. Václav Babinský, wegen einiger Verbrechen zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, wandelte sich auf der Festung Spielberg zu einem frommen Christenmenschen und führte nach seiner Entlassung ein gottgefälliges Leben als Gärtner eines Frauengefängnisses bei Prag. Ihn hat der Volksgeist in Liedern, Erzählungen und Geschichten zur Legendenfigur erhöht. Auch in Meyrinks Roman „Der Golem“ von 1914 kommt Babinský vor. Beide Fabelstränge amalgamierte der Librettist und mischte in freudvoll eklektischer Manier noch allerlei Märchen- und Sagenzinnober von überall unter.

1927 in Prag uraufgeführt, war die Oper im Dritten Reich verboten

Nach ihrer Uraufführung 1927 am Nationaltheater Prag ging „Švanda dudák“ in der Fassung von Max Brod erst in Deutschland, dann international in 17 Sprachen über 300 Bühnen, wurde in 17 Sprachen übersetzt, 1929 hatte sie in Berlin unter Erich Kleiber, 1931 an der New Yorker Metropolitan Opera Premiere. Während des Dritten Reichs war der „Schwanda“ verboten, wurde aber nach 1945 im deutschen Sprachraum hie und da wieder aufgeführt – nur die Tschechen scheinen sie nicht sehr zu lieben. Das verwundert nicht, denn die Oper ist dem romantischen Konzept der Nationaloper ebenso entfremdet wie dem der Volksoper, die sie als Gattungsbezeichnung im Untertitel trägt und als die sie Weinberger auch aufgenommen wissen wollte.

Ein nachmals als Philosoph der Welt so bedeutend gewordener freier Musikkritiker hatte der Frankfurter Aufführung 1929 gut zugehört: Die Oper bringe „wirklich einen Ausverkauf alles Entwerteten der jüngsten Vergangenheit: vom Waldweben, von der Sommerfrischennatur der neunziger Jahre über Puccini bis über Schreker hinaus wird alles darin dem Amüsement nutzbar gemacht und wirklich nochmals amüsant; solche Wiederkehr bekräftigt gut den Untergang der Gehalte, denen einmal jene Idiome dienen mochten. Schließlich ist es mit großem Geschick, Bühnensinn, Klangphantasie und vor allem kluger Beschränkung der zeitlichen Dauer vorgebracht, um tschechische Volkslieder gruppiert, die um so echter sie bewährt, je schärfer sie sich vom Flittergrund ihrer Umgebung abheben. So sollte man das Werk, das eher die Ansprüche anderer vernichtet als eigene erhebt, passieren lassen.“

Die Komische Oper Berlin hat bereits 2020 Weinbergers Operette „Frühlingsstürme“, die als „letzte Operette der Weimarer Republik“ gilt, wiedergebracht und nun Weinbergers Oper passieren lassen. In der Premiere ging das Orchester des Hauses unter seinem Generalmusikdirektor Ainārs Rubiķis die – klug gekürzte – Partitur ziemlich grobschlächtig an, als wollten sie sich darauf verlassen, daß all die fremdvertraut anmutenden Tänze und Lieder und Ohrwürmer aus zweiter und dritter Hand schon ganz von allein wie aus erster Hand erschaffen klingen und ein Lächeln auf jedes Notenzählers Gesicht zaubern würden.

Verwandlungsmusik vom Höllenbild zur Sommerlandschaft

Das verleitete die Sänger zu permanentem Forcieren. Ihnen, die australische Sopranistin Kiandra Howarth (Dorota) voran, könnte ein sich zurück- und den Orchestersatz durchhörbar nehmendes Orchester durchaus differenziertere Gestaltung ihrer Partien ermöglichen, wie sie Daniel Schmutzhard zu Schwandas Arioso in der Hölle, „Wie kann ich denn vergessen“ endlich auch gelang. Und was alles noch hätte Tilmann Unger aus dem Gegenpart dieses merkwürdigen Male couple, dem edlen und traurigen Räuber Babinsky, herausholen können: einen verläßlichen Kumpel, dem alles gelingt, nur da nicht, wo es um Liebe geht …

Das Sympathische an der Oper: daß sie nicht mehr bedeuten will, als da an Text und Musik geschrieben steht, das Unsympathische an der Regie: daß sie genau das will. Das Sympathische an der Oper: daß unter ihrem folkloristischen Deckel doch mehr an anarchistischem Klamauk köchelt, als sie flüchtiger Lektüre preisgibt, das Unsympathische an der Regie, daß sie den Deckel nicht einmal lüpft. Regisseur Andreas Homoki reiht die Versatzstücke des realistischen Musiktheaters an den musikalischen Verläufen entlang aneinander, ohne die Gehalte zu erneuern, denen es einmal dienen mochte. Er gibt für echt aus, Grimassieren für Mimik, Gestikulieren für Gestik, illustrierendes Bühnentreiben für erzählendes Spiel, womit seine Sängerdarsteller Zeit zu erfüllen und Raum zu füllen meinen. Authentisch ist einzig ihr Chargieren. Es zerstört den Raum, den ihr Singen erst zu schaffen hätte.

Was Regie nicht auszulegen weiß, müssen Inszenierung, Bühnenbild (Paul Zoller), Kostüme (Klaus Bruns) und Choreographie (Otto Pichler) dem Stück unterlegen. Der Palast der Königin Eisherz, ein stahlgrauer Tatlin-Turmbau oder Ozeandampfer oder Revuepalast, spielt auf Entstehungszeit und das erste USA-Erlebnis, aber auch auf das spätere Schicksal des Komponisten an.

Jaromír Weinberger ist in dem Land der Eisherzen, das den Emigranten 1948 eingebürgert hat, nicht heimisch geworden und 1967 in seinem Haus in Saint Petersburg, Florida, selbstbestimmt aus dem Leben gegangen. In der Hölle des depressiven Teufels übernehmen Hitler und Stalin die Rollen von Famulus und Höllenhauptmann, zwei Kasper, die nicht totzukriegen sind. Daß es dann ausgerechnet ein Revuevorhang ist, den in der Premiere die Lichtregie zu erhebender Verwandlungsmusik vom Höllenbild zur Sommerlandschaft in die Nationalfarben der Ukraine taucht, ist einer der bösen Witze, die der Weltgeist über deutsche Kunstangestellte reißt.

Der Klang der Sackpfeife läßt sich schwerlich in den des Orchesters integrieren. Schmutzhard setzt sie nur an, die geblasenen Töne anderer Instrumente müssen für die der Sackpfeife herhalten. Nicht die Schwandas, die Babinskys sind es, die jetzt gebraucht werden. Und die Dorotas. Wer setzt sie ins rechte Licht?

Die nächsten Vorstellungen von „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ an der Komischen Oper Berlin, Behrenstraße 55-57, finden am 1., 10. und 15. April statt. Kartentelefon: 030 / 47 99 74 00

 www.komische-oper-berlin.de

Foto: Schwanda (links unten) im Palast der Königin Eisherz: Anspielung auf das spätere Schicksal des Komponisten