© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Klappern gehört zum Handwerk
Ukraine-Krieg: An dem Stil des „Bild“-Reporters Paul Ronzheimer scheiden sich die Geister
Ronald Berthold

Kaum ein Journalist spaltet die Medienbranche so stark wie Paul Ronzheimer. Der stellvertretende Bild-Chefredakteur macht derzeit das, was viele Kollegen nicht wagen: Er berichtet als Kriegsreporter aus der Ukraine. Doch ist der 36jährige deswegen ein Abenteurer, ein Draufgänger oder ein Selbstdarsteller?

Ronzheimer liefert – oft in der Ich-Form – Reportagen, die den Schrecken des russischen Überfalls anschaulicher machen als die vom Redaktions-Laptop geschriebenen Berichte anderer Tageszeitungen oder die im Schnittraum zusammengestellten Beiträge ausländischer TV-Teams bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern. Er spricht permanent mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko sowie dessen Bruder Wladimir. Sein Fotograf Georgios Moutafis macht die Bilder. Und auf denen ist vor allem einer sehr häufig zu sehen: Paul Ronzheimer.

Damit haben viele Kollegen ein Problem: Von Selbstinszenierung ist die Rede. Oder von „Fallschirm-Journalismus“. Soll heißen: Der gebürtige Ostfriese fliegt ohne Hintergrundwissen ins Kriegsgebiet und produziert sich dort vor allem selbst. Auf Twitter wird Ronzheimer innerhalb der Journalisten-Blase attackiert und lächerlich gemacht. Einige wünschen ihm gar einen Kugelhagel, dem er ausweichen muß, und die Moderatorin Aline von Drateln schreibt: „Unangenehm, wie Ronzheimer aus jedem Krieg eine Mutprobe macht.“

Der Haß geht so weit, daß der Branchendienst „Meedia“ beklagt: „Es ist beschämend.“ Chefredakteur Stefan Winterbauer meint, die Kritik sei „einfach nur dumm und zynisch“. Ronzheimer solle im Gegenteil einen Journalistenpreis für seine Arbeit bekommen.

Vor der Kamera von „Bild TV“ brach er in Tränen aus

Was stimmt denn nun? Fakt ist: Ronzheimer berichtete schon seit 2014 regelmäßig von vor Ort über die damals beginnenden bewaffneten Auseinandersetzungen in den ostukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk, während seine Kritiker Agenturtexte dazu redigierten. Man darf also annehmen, daß er von dem Konflikt der Nachbarländer durchaus etwas versteht. Der Vorwurf des „Fallschirm-Journalismus‘“ geht ins Leere.

Auch damals präsentierte er sich in seiner Zeitung nicht selten selbst. Allerdings müßten auch seine Kritiker wissen, daß Klappern dort zum Handwerk gehört. Nur wer noch nie einen der vielen Artikel gelesen hat, die mit den Worten: „Ich, der Bild-Reporter …“ beginnen, kann dafür allein Ronzheimer verantwortlich machen. Die Fotos des eigenen Journalisten in Kampfmontur sind für das Boulevardblatt das Mittel, seinen Lesern zu zeigen: Wir sind dabei. Wir gehen für euch dorthin, wo es gefährlich ist.

Schon vor Kriegsbeginn reiste Ronzheimer in die Ukraine und spürt seitdem dort Geschichten auf. Er lebt nun fünf Wochen in einem Land, das beschossen wird. Doch muß er das ständig betonen? Wie gefährlich seine Arbeit ist, läßt er immer wieder durchblicken. Das wissen die Leser allerdings auch ohne diese penetrante Beteuerung. Nach dem ersten Monat schrieb er, der Krieg bedeute „nachts mit Explosionen einschlafen, morgens mit Zerstörung aufwachen. Es kann jeden zu jeder Zeit treffen. Unser Freund und Kollege Pierre, der als Kameramann für Fox News gearbeitet hat, wurde in Kiew getroffen, in Woche drei des Krieges, genauso wie Olexandra, die mit ihm im Auto saß.“ Heißt: Ich kann der nächste sein. Ronzheimer macht sich damit vom Berichterstatter zum Subjekt seiner Reportage.

Journalismus ist auch eine Frage des Stils. Am ersten Tag des Krieges brach der Reporter vor der Kamera von „Bild-TV“ in Tränen aus, „weil ich viele Freunde hier in der Ukraine habe, die Angst um ihr Leben haben“. Professionell geht sicher anders. Und auch wenn die Rollen zwischen Aggressor und Opfer in diesem Krieg klar verteilt sind, wünscht man sich mehr Unabhängigkeit. Ronzheimer reist als Freund des Landes und seiner Politiker durch die Ukraine.

Wladimir Klitschko gratulierte er am 25. März zum Geburtstag. Er tat das nicht persönlich, sondern auf Twitter und wünschte ihm, „daß der gemeinsame Kampf mit Vitali, der Kampf ihres Lebens für ihre Ukraine, erfolgreich sein wird“. Dazu postete er ein Foto von sich und dem früheren Box-Weltmeister in Splitterweste. Der Tweet zeigt, wie wenig Ronzheimer die da schon überkochende Kritik annimmt. Denn selten sind Distanzlosigkeit und Selbstdarstellung so komprimiert sichtbar. 

Auf der Titelseite ist Selenskyj seit Wochen der „Helden-Präsident“. Kritik am vor dem Krieg durchaus umstrittenen und unbeliebten Präsidenten transportiert er nicht. Dies unterscheidet Ronzheimer allerdings nicht von der Tendenz in den anderen Medien. Vorwürfe, er dürfe sich auch nicht mit einer guten Sache gemein machen, treffen zu. Aus der Feder seiner Gegner sind sie jedoch heuchlerisch.

Selenskyj begrüßte den Bild-Reporter auf einer Pressekonferenz mit Handschlag. Ronzheimer teilte davon ein Video. Motto: Seht her, ich gehöre zum engen Kreis. Nicht der fehlende Abstand zu einer Kriegspartei ist der Grund für die Häme seiner Kritiker, sondern die angebliche Protzerei mit seinen guten Beziehungen zur Staatsführung. In der Tat wirkt das unangenehm. Aber auch hier gilt: Ronzheimer ist in Sachen Kumpelei mit Politikern keine Ausnahme, sondern die Regel. Dafür genügen Blicke in die Twitter-Accounts deutscher Mainstream-Journalisten. 

Journalisten-Kollegen gönnen Ronzheimer die Bekanntheit nicht 

Warum also ist Ronzheimer zur Zielscheibe geworden? Hauptgrund dürfte sein Arbeitgeber sein. Bild und Springer gelten den meisten Journalisten nach wie vor als Feindbild. Da hilft es nicht viel, daß der Bild-Vize offen schwul lebt, daß er seinem früheren Chefredakteur Julian Reichelt vor laufender Kamera heftig von links widersprach, als dieser zur Kritik an Angela Merkel und der Corona-Politik ansetzte. Differenzierung ist nicht die Sache der Medien. Ronzheimer kann machen, was er will. Er arbeitet für eine angeblich reaktionäre Zeitung. Das genügt vielen als Rechtfertigung für die verbale Guillotine.

Hinzu kommt Neid. Den meisten in der Branche kann eine überdimensionierte Eitelkeit nicht abgesprochen werden. Sie gönnen Ronzheimer die Bekanntheit nicht, die er mit seinen Einsätzen für Deutschlands größte Zeitung erreicht. Schon während der Koalitionsverhandlungen der heutigen Ampel-Koalition steckten ihm Teilnehmer diskrete Details, die nicht öffentlich werden sollten. Dank der Beziehungen seines stellvertretenden Chefredakteurs war Bild das am besten informierte Medium in der Phase der Regierungsbildung. Die anderen mußten notgedrungen und oft mit der Faust in der Tasche nachdrucken, was Ronzheimer recherchiert hatte.

Bei seinem neuen Chefredakteur genießt er nicht nur deswegen volle Rückendeckung. Die Art, wie Ronzheimer aus der Ukraine berichtet, verteidigte Johannes Boie jüngst in der Zeit. Der Krieg habe in seiner Redaktion „gewaltige Empathie“ ausgelöst. „Berührt“ zeigte er sich, „mit welcher Zuwendung“ seine Kollegen „den Menschen dort begegnen“. Seine Reporter vor Ort seien „großartige Kollegen, auf deren Einschätzung ich mich verlasse“. Er sehe „keinen Hauch von Draufgängertum oder Sensationslust“. Über Ronzheimer sagte Boie, dieser arbeite „hoch professionell“.

Foto: „Bild“-Vizechef Paul Ronzheimer in der Ukraine: Interviews mit Präsident Selenskyj und dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko