© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Gallebittere Medizin
Petition von europäischen Tierschützern zur Schließung von Bärenfarmen in Vietnam / Chemische Alternative vorhanden
Volker Kempf

Sie heißen „Tillhepo“, „UDC AL“, „Urso-1A“, „Urso 250 Heumann“, „Ursochol“, „Ursofalk“ oder „Ursonorm“ und diese Medikamente haben eines gemeinsam: Sie enthalten den Wirkstoff Ursodeoxycholsäure (UDCA). Diese tertiäre Gallensäure hilft bei der Auflösung von Gallensteinen aus Cholesterin, Autoimmunerkrankungen der Leber, Verdauungsbeschwerden oder einer Leber-Gallenstörung bei der erblichen Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose. Der Wirkstoff wird in Europa aus der Galle von Schlachtvieh gewonnen, indem daraus Cholsäure (C24H40O5) extrahiert wird, die dann chemisch in UDCA (C24H40O4) umgewandelt wird.

In Ost- und Südostasien vertraut man aber auch auf die traditionelle chinesische Medizin (TCM). Und die blickt auf eine jahrtausendealte Erfahrung zurück und kann sehr heilsam für den Menschen sein. Doch die TCM besteht nicht nur aus Akupunktur, Massagen und Heilpflanzen, sondern für einige Wirkstoffe und Therapien müssen auch einige Tiere leiden: Nashorn und Tiger sind wohl die bekanntesten Fälle. Seit langem ist in Asien bekannt, daß Bärengalle gut gegen Gallensteine ist und bei der Behandlung von Leberleiden hilft. Und der Name Ursodeoxycholsäure kommt auch daher: Ursus ist der lateinische Name für Bär. Der Wirkstoff UDCA kommt in natürlicher Form in der Galle des Asiatischen Schwarzbären (Kragenbär/Ursus thibetanus) vor. Eine chemische Umwandlung ist nicht notwendig – und das ist ein Problem.

Denn die Gewinnung der Bärengalle bedeutet in der Praxis: Schwarzbären vegetieren in Käfigen, und zweimal täglich wird ihnen ohne Betäubung die Bauchdecke durchstoßen, um Gallensaft abzulassen. Besonders steril sind die Arbeitsgeräte selten, Entzündungen um so häufiger. Mehrere tausend Liter Gallensaft sollen so in China und in weiteren südostasiatischen Ländern jährlich „gemolken“ werden. Was Hauptproduzent China anbelangt, gab es einen EU-Appell zu den Olympischen Sommerspielen 2008 – aber das änderte nichts: Die herrschende Klasse von 1,4 Milliarden Chinesen interessiert sich wenig für europäische Befindlichkeiten, Tierschutz ist dort ein Fremdwort.

„Bärenkäfige, aufgereiht in dunklen Ställen ohne Sonnenlicht“

Anders stellt sich die Situation im südlichen Nachbarland Vietnam dar, wie der Tierschutzverein „Vier Pfoten“ in seinem Magazin Report (1/22) berichtet. Demnach wurde 2005 in dem aufstrebenden 96-Millionen-Land der Verkauf von Bärengalle verboten. Die Haltung der Tiere sollte auf den Farmen „auslaufen“. Aber noch immer würden etwa 300 Tiere, meist in Hinterhöfen, gehalten. „Die Bären sind in Metallkäfigen eingesperrt, die oft nicht viel größer sind als der Bär selbst, aufgereiht in dunklen Ställen ohne Sonnenlicht“, erklärte Magdalena Scherk-Trettin, Koordinatorin der Bärenprojekte. 59 Gallebären will „Vier Pfoten“ bereits in die Freiheit geholt haben. 40 von 63 Städten und Landkreisen seien frei von Gallenbärenhaltung. Schwierigkeiten, das Verbot der Gallenbärenhaltung durchzusetzen, gäbe es vor allem in der Hauptstadt und Acht-Millionen-Einwohner-Metropole Hanoi.

Um den Druck zu erhöhen und die schrecklichen Zustände der Rechtslage anzupassen, wurde eine Petition ins Leben gerufen, in der die KP-Regierung von Pham Minh Chính aufgefordert wird, hinzuschauen und zu handeln. Die Tierschützer sehen das ganze Elend der Gallenbärenhaltung, aber in Vietnam gibt es wenigstens konkrete Hebel, auch etwas in Bewegung zu setzen. Daß das „synthetische“ UDCA genauso gut gegen Gallensteine & Co. hilft, wissen auch asiatische Ärzte. Aber wann hört endlich auch China die Signale? Oder lassen sich die kommenden Herren des 21. Jahrhunderts gar nichts mehr sagen?

Petition zur Schließung der Bären-Farmen: www.vier-pfoten.de

Bärenhaltung in Vietnam, Albanien und der Ukraine: saddestbears.vier-pfoten.ch